Macht ausüben oder missbrauchen
Die Fragen, die sich in jüngster Zeit um Pater Josef Kentenich ergeben haben, nimmt die Schönstatt-Bewegung als Herausforderung, sich in einer differenzierten Haltung mit einzelnen Aspekten auseinanderzusetzen und damit den Blick auf den Gründer Schönstatts zu schärfen. Dazu gehört auch das derzeit in Gesellschaft und Kirche kritisch betrachtete Thema des Umganges mit Macht. Was sagt Kentenich selbst zu diesem Thema? War seine Stellung in der Bewegung zu übermächtig? Wie haben ihn Mitarbeiter und Mitglieder des von ihm gegründeten Schönstatt-Werkes in dieser Frage erlebt?
Unzählige Zeitzeugen berichten von der ständigen Aufforderung des Schönstatt-Gründers zur „Selbständigkeit“ im Denken und Entscheiden und zur „Selbsttätigkeit“ in der Ausführung ihrer Entscheidungen. Viele bezeugen oft verwendete Sätze wie „Glauben Sie mir nichts. Überprüfen Sie alles!“ oder „Ich sage nicht, Sie sollen das so tun. Entscheiden Sie selbst!“
Hinzu kommt, dass für Josef Kentenich eine der Definitionen der Schönstatt-Bewegung die einer „Freiheitsbewegung“ war: „Gemeint war und ist der Kampf um die Freiheit der Kinder Gottes. Als Freiheitsbewegung ist es (Schönstatt) so ins Leben getreten; als Freiheitsbewegung hat es den Gang durch die Geschichte angetreten; es hofft, diese hohe charakteristische Sendung nie zu verlieren. Der Freiheit eine Gasse!“ Pater Kentenich interpretierte etwa seinen Gang nach Dachau als seinen persönlichen Einsatz, damit die ganze Bewegung diese Freiheit erwerbe. Seine Vorstellung war, alle Gemeinschaften nach dem Grundsatz zu strukturieren: „Freiheit so viel wie möglich, Bindungen nur so viel wie nötig, Geistpflege aber so viel wie irgend möglich.“
Auf diesem Hintergrund sind Vorwürfe des Machtmissbrauchs sehr befremdlich. Muss hier ein Auseinanderklaffen von Wort und Tat vermutet werden?
(Mehr: Zum Begriff der Macht)
Der Vorwurf des Machtmissbrauchs bei Pater Kentenich
Ein Verdacht entzündete sich an dem Bewusstsein einer eigenen Sendung, das sich bei Pater Kentenich nach seiner Gefangenschaft in Dachau mehr als zuvor zeigte. Die mit ihm in Kontakt kamen, erinnern sich deutlich, dass eine gewisse Wende nach Dachau insofern eingetreten sei, als Pater Kentenich offenbar eine größere Gewissheit über seine Sendung gewonnen hatte und nun mit seiner ganzen Person dazu stand: Wenn die Bewegung eine geistliche Prüfung wie Dachau bestand, dann war der Weg in die Zukunft geebnet. Dieses neue Selbstbewusstsein war nicht für alle mitvollziehbar.
Bei Pater Kentenich muss zudem bedacht werden, dass er in eine Gemeinschaft von Priestern eingebunden war, in der ihrerseits klare Machtverhältnisse existierten. Wie musste das bei Vorgesetzten und Mitbrüdern ankommen, wenn einer aus ihren Reihen plötzlich den Anspruch erhebt, eine eigene kirchliche Sendung zu besitzen, die über das Charisma der Gemeinschaft hinausging? In einer solchen Situation geht es fast immer um die letzte spirituelle Kompetenz in einer Gemeinschaft. Ferner muss damit gerechnet werden, dass die sogenannte invidia clericalis (klerikaler Neid) unter den Mitbrüdern bei der Beurteilung eine erhebliche Rolle spielt: Was maßt sich dieser Mann an, was wir anderen oder was ich nicht habe?
Im Falle Pater Kentenichs ging es konkret darum, ob die Sendung Schönstatts eine eigene ist oder nicht doch eine innerhalb der Sendung Vinzenz Pallottis ist. Versuchte etwa Pater Kentenich sogar die Gemeinschaft zu spalten in solche Mitglieder, die sich Schönstatt zugehörig fühlten, und solche, die eher gegenüber Schönstatt auf Abstand gingen? Wenn das so gewesen wäre, wäre es verständlich, wenn Gemeinschaftsmitglieder die Initiative ergriffen, das zu verhindern.
Eine Möglichkeit, eine Person effektiv auszuschalten, ist eine Charakterdiskussion, wie sie etwa im amerikanischen Wahlkampf praktiziert wird. Mit generalisierenden Vorwürfen kann ohne weiteres eine Person in einer Weise diskreditiert werden, dass diese moralisch völlig unglaubwürdig wird. Eine sehr effektive Weise ist, der Person Affären, Machtmissbrauch, geistlichen Missbrauch oder gar sexuellen Missbrauch vorzuwerfen.
Beispiele des Umgangs von Pater Kentenich
Die Stellung Pater Kentenichs ist durchgängig Thema der Briefe, Berichte und Zeugnisse, die aus dem Kontakt mit dem Visitator Pater Tromp erhalten sind. Dabei wird massiv der Vorwurf der Machtkonzentration und infolgedessen des Machmissbrauchs vorgetragen. Das zeigt beispielsweise die Denkschrift (Promemoria) von Weihbischof Stein vom 6.5.1950, die abgefasst ist als Bericht über seine Visitation an die Religiosenkongregation in Rom: „Wie sehr er die Stellung eines 'Diktators' innehat, geht auch daraus hervor, dass er nach seiner Rückkehr von Südamerika, wo er sich zwei Jahre aufhielt, die oberste Leitung (der Schönstätter Marienschwestern) und ihre Assistentinnen im Februar des Jahres in die Schweiz berief, wo er sie überredete, 'freiwillig' ihrer Ämter zu entsagen.“
Um diesen Vorwurf zu stützen, werden einige wenige Stimmen von Schwestern ausgewählt, die auf Abstand zu Pater Kentenich gegangen waren. Ein minimaler Ausschnitt aus der Gesamtbreite der Aussagen wird generalisiert und schwerwiegende Hintergründe außer Acht gelassen, um das Bild eines Tyrannen zu entwerfen.
Auf den Vorwurf des Bischofs antwortet Pater Kentenich am 31.5.1950 nicht ohne Ironie: Der Gründer habe also „durch seine faszinierende Persönlichkeit und seine Regierungsweise“ seine Bewegung „so in Bann gezogen, dass sie ihm blindlings und willenlos folgt und sein Urteil und seinen Willen schlechthin als letzte Norm für ihr Handeln anerkennt“. „Und das alles, obwohl er fast zehn Jahre in der Fremde weilte: in Gefängnis, Konzentrationslager und Ausland. Es handelt sich danach also um eine actio in Distanz, um Fernwirkung einer Persönlichkeit, wie sie in der Geschichte selten vorkommt (…) Ferner muss man sich sagen: Wie beschränkt muss eine Gefolgschaft sein, die im Übrigen vom Ankläger recht häufig als geistig hochstehend bezeichnet worden ist, wenn sie sich in dieser unerhörten Weise am Narrenseil herumführen lässt, zumal keine äußerlichen Machtmittel zur Verfügung stehen.“
Den Vorwürfen gegenüber stehen Zeugnisse wie das von Pater Franz Bezler, eines engen Mitarbeiters von Pater Kentenich: „In den vergangenen 33 Jahren lernte ich Herrn P. Kentenich als einen hervorragenden Erzieher kennen, der allem menschlichen Wachsen und Fehlen mit einer außerordentlichen Geduld und Nachsicht entgegenkam. Ich habe noch keinen Vorgesetzten kennengelernt, der so sehr jeder menschlichen Eigenart gerecht zu werden suchte. Wo er längst überzeugt war, dass ein Weg nicht zum Ziele führe, gab er sich mit einem Rat zufrieden und ließ dem Experimentieren der einzelnen so viel Raum, dass wir uns oft darüber wunderten. Ihm kam es stets mehr auf das Wachsen des Menschen an als auf einen äußeren Erfolg“.
Beurteilung
Dennoch soll die hier vorgetragene Kritik am Umgang mit Aussagen, die bis zu 70 Jahre zurückliegen, nicht einfach einzelne Inhalte der Vorwürfe beiseiteschieben. Doch ist es unabdingbar notwendig, alle Aussagen historisch kritisch zu befragen, Hintergründe und soziale Verflechtungen zu analysieren und erst dann zu ehrlichen und umfassenden Beurteilungen zu kommen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass diese Analysen und Beurteilungen im Fluss sind und sich nur auf den jeweiligen Wissenstand aufgrund der gesichteten Unterlagen beziehen können.
Beiträge zu einem umfassenderen Bild in der Causa Kentenich
In Kooperation verschiedener Personen aus der Schönstatt-Bewegung werden im Auftrag des Generalpräsidiums des internationalen Schönstattwerkes Themen bearbeitet, die Pater Josef Kentenich, den Gründer der Bewegung, betreffen und die derzeit angefragt sind. Dies geschieht aufgrund des jeweiligen aktuellen Kenntnisstandes, der sich aus den zugänglichen Dokumenten und Schriften ergibt. Die Ergebnisse der Forschungen und Gespräche sind jeweils in themenbezogenen Artikeln zu lesen. Ihre Vorschläge für Themen weiterer Artikel können Sie gerne senden an: mk@schoenstatt.de.
PressOffice Schoenstatt International