Warum wurde so lange geschwiegen?

Im Zusammenhang mit den gegenwärtigen Wirren um die Person Pater Kentenichs und um sein Wirken als Gründer der Schönstatt-Bewegung stellen viele Mitglieder der Bewegung Fragen wie: Warum haben wir davon noch nichts oder nur wenig gehört? Warum wurde in den vergangenen Jahrzehnten über das geschwiegen, was jetzt nach und nach ans Licht kommt? Und viele setzen den Satz hinzu: Ich möchte die Wahrheit wissen!

Verbunden sind diese Fragen mit einem Gefühl der Enttäuschung. Das Bild Pater Kentenichs, das nun in der Öffentlichkeit entsteht, passt so gar nicht zu dem Bild, das über den Gründer in der Bewegung vermittelt wurde und das auch persönliches Bild vieler Menschen geworden ist. Das Vertrauen, das viele in Pater Kentenich setzten, steht auf dem Prüfstand, wird in Frage gestellt oder gar zerstört. Ganz gewiss sollen und dürfen diese Fragen und die damit verbundenen Gefühle nicht weggeschoben werden.

Ein redlicher Blick auf den Gründer

Im Namen aller Gliederungen und Gemeinschaften der internationalen Schönstatt-Bewegung möchten wir klar zum Ausdruck bringen: Nichts soll verheimlicht werden, nichts unter den Teppich des Schweigens gekehrt werden. Es gilt, einen redlichen, wahrhaftigen und differenzierten Blick auf den Gründer und unsere Geschichte zu finden und zu teilen.

Doch die Wahrheit zu finden, ist ein schwieriges, komplexes  Unterfangen. Bei der Wahrheitsfindung ist es nicht damit getan, aufgefundene Schriftstücke willkürlich zu veröffentlichen und zu interpretieren, ohne deren Kontext und Zustandekommen zu kennen und Zusammenhänge aufzuzeigen, die aus dem Text alleine nicht zu finden sind. Es bedarf einer geduldigen Kleinarbeit, solche Zusammenhänge aufzudecken und zu verstehen. Nichts weniger als das haben sich verschiedene Kommissionen innerhalb der Schönstatt-Bewegung zum Ziel gesetzt. Nach und nach werden auf dieser Website Ergebnisse dieser intensiven Arbeit vorgestellt werden.

Warum wurde nicht alles gesagt?

Bedeutet, etwas nicht zu veröffentlichen, immer auch es zu vertuschen? Heute sind wir zu Recht überaus sensibel, wenn es um ein Vertuschen von straffälligem oder übergriffigem Verhalten geht. Gleichzeitig gibt es die Forderung nach absoluter Transparenz. Wie kam es dazu, dass manches nicht in aller Öffentlichkeit verhandelt wurde?

Nach dem Tod Pater Kentenichs begannen schon bald die Vorbereitungen für die Eröffnung eines Seligsprechungsprozesses. Es gehört zum geordneten Verlauf eines solchen Verfahrens, dass alle die Person und das Leben des Kandidaten betreffenden Dokumente zusammengetragen werden, ebenso wie Zeugenaussagen pro und contra. Das alles geschieht in einem nicht öffentlichen Rahmen, um die größtmögliche Objektivität der Beteiligten zu sichern.

Konnte man damals nicht davon ausgehen, dass alte Vorwürfe erledigt sind? Nach der Heimkehr Pater Kentenichs aus dem Exil? Nach seiner Ankunft in Schönstatt Ende 1965? Nach der Eröffnung des Seligsprechungsverfahrens genau durch jenen Bischof, der die erste Visitation durchgeführt und die zweite ins Rollen gebracht hatte? Nach dem „Nihil obstat“ für den Prozess aus Rom?

Das Wissen darum, dass „alles“ in den Prozess eingegangen ist – positive wie negative Stimmen – und damit dem Urteil der kirchlichen Stellen untersteht, mag dazu beigetragen haben, dass man diese komplizierten Fragen vielleicht noch zu wenig offensiv angegangen ist. Dazu kam die Meinung, dass Dokumente, die in die Prozessakten aufgenommen sind, auch außerhalb des Prozesses unter Verschluss seien. Dass das nicht in jedem Fall so ist, wurde erst in jüngster Zeit geklärt.

Warum keine offensive Information über diese Zeit?

Es gibt eine Reihe von Ansätzen, die Geschichte des Gründers und der Bewegung mit historischer Genauigkeit zu ergründen und darzulegen. Trotzdem blieben manche Hintergründe, Zusammenhänge, Personendaten bisher verborgen. Es sind Bemühungen, die noch viele weitere Schritte erfordern und ganz sicher auch künftige Generationen in Schönstatt beschäftigen werden.

Warum ist es nicht früher zu mehr Informationen gekommen? Ein Grund ist ganz sicher, dass frühere Generationen in teilweise völlig anderen Kontexten gelebt und darum einzelne Vorgänge auf ihrem zeitbedingten Hintergrund anders bewertet haben. So war zum Beispiel eine uneheliche Herkunft Pater Kentenichs Ende des 19. Jahrhunderts ein Makel, dessen bedrückende Folgen wir heute nur noch vom Hörensagen kennen. Dieser Makel hatte gesellschaftliche und sogar kirchenrechtliche Folgen. Nach dem kirchlichen Gesetzbuch von 1917 konnte ein uneheliches Kind nicht regulär Priester werden. Darum ging der junge Josef Kentenich zu den Pallottinern, die den Betroffenen die Möglichkeit boten, in der Mission als Priester zu arbeiten. Pater Kentenich selbst hat dieses biographische Detail nie öffentlich thematisiert. Zuweilen machte er Andeutungen, dass er auf ein Zeichen warte, auch darüber zu sprechen. Seine ersten Biographien folgten diesem Beispiel – nicht um die Wahrheit zu verheimlichen, sondern wohl aus einer Ehrfurcht vor seiner Person und seinem Wirken als Gründer.

Warum die „Epistola perlonga“ und die „Apologia pro vita mea“ sowie weitere im Exil verfassten Schriften nicht in weite Kreise getragen wurden, ergibt sich aus ihrer Entstehungsgeschichte. Die meisten dieser umfangreichen Dokumente waren für das Archiv verfasst. Das war in jener Zeit die einzige Möglichkeit für Pater Kentenich, die Ereignisse und Zusammenhänge aus seiner Sicht deutlich und ohne Beschönigung darzulegen. Die Schriften geben wieder, was er von den verschiedenen Seiten aufnahm und wie er selbst darüber urteilte.

Darüber hinaus beinhalten manche dieser Schriften klare und schonungslose Kritik an kirchlichen Autoritäten und an den Vorgesetzten seiner Gemeinschaft. Die „Apologia“, seine Rechtfertigungsschrift, die er im Jahr seines goldenen Priesterjubiläums für den Trierer Bischof verfasste, schickte er zuerst an den Bischof von Münster mit der Bitte um Beratung. Dieser antwortete ihm, wenn er sich ungerecht behandelt fühle, solle er das für sein Werk im Schweigen ertragen. Pater Kentenich hätte ein klares Wort vorgezogen, aber er folgte dem Rat des Bischofs.

Beurteilung im Kontext

Was die Veröffentlichung von persönlichen Briefen und anderen Schriftstücken angeht – wie es nun geschehen ist –, muss die Betrachtung noch differenzierter sein. Ein ganzes Bündel von Kontexten ist zu berücksichtigen, möchte man ein einigermaßen faires Bild von den Verhaltensweisen Pater Kentenichs gewinnen. Dabei geht es nicht darum, verschiedene seiner Vorgehensweisen zu rechtfertigen oder zu verharmlosen, sondern zunächst die Mentalität der damaligen Zeit zu verstehen.

Da ist das Problem, dass wir heute, rund 70 Jahre nach den entsprechenden Geschehnissen, völlig andere Kriterien an Verhaltensweisen anlegen als die Betroffenen damals. Die Begrifflichkeit des geistlichen Missbrauchs und geistlichen Machtmissbrauchs im heutigen Verständnis existierte damals noch nicht. In der sensibilisierten Situation heute setzen wir völlig andere Maßstäbe an das Verhalten und den Gebrauch von Amtsautorität als die Kirche in den 1940er und 1950er Jahren. Mit großer Selbstverständlichkeit wurde etwa Beichtenden die Absolution verweigert, wenn sie sich nicht gemäß den Normen der Kirche verhielten. Niemand wäre deshalb auf die Idee gekommen, die Autorität der Beichtväter anzuzweifeln.

Ferner waren zu dieser Zeit Formen der Buße und Bußübungen verbreitet, für die wir heute kaum noch Verständnis haben, etwa die Selbstzüchtigung als Bußübung für die eigenen Sünden. Letzteres war in manchen Orden auch im 20. Jahrhundert noch Gang und Gäbe.

Im Blick auf Pater Kentenich ist es nun die Aufgabe, sein Verhalten im Kontext der damaligen Zeit und seiner pastoralen und pädagogischen Absicht sowie seiner Sendung zu beurteilen. Übertreibungen und falsche Verhaltensweisen gilt es zu benennen, entsprechend einzuordnen und sich gegebenenfalls davon zu distanzieren. Das gilt besonders dort, wo menschliches Versagen eine Rolle spielte.

Der Schutz des „Forum internum“ und der Persönlichkeit

Warum hat man in der Schönstatt-Bewegung über solche Dinge nicht früher gesprochen? Aus dem gleichen Grund, warum man in der Kirche allgemein nicht darüber sprach. Was im Bereich der Beichte und in der geistlichen Begleitung, damals Seelenführung genannt, geschah, war absolut tabu und unterlag – wie auch heute noch – dem strikten Beichtgeheimnis. Das sogenannte Forum internum unterlag der absoluten Schweigepflicht.

Wenn jemand mit einem anderen Menschen über das kommunizieren wollte, was sie oder er in der Beichte erlebt hatte, war das in ihrer bzw. in seiner Verantwortung. Es war jedoch in der Regel nicht dazu angetan, in der Öffentlichkeit verhandelt zu werden. Da es in der Beichte und Geistlichen Begleitung um höchst persönliche Themen geht, möchte wohl kaum jemand, dass die privatesten Geheimnisse in großer Runde besprochen oder gar publiziert werden.

Und hier liegt nun ein weiterer Grund, warum niemand versuchte, persönliche Briefe etwa im Archiv der Marienschwestern herauszusuchen und zu veröffentlichen. Es war neben der Achtung der Interna einer Gemeinschaft vor allem das Persönlichkeitsrecht auf Unversehrtheit der Privatsphäre. Es kam niemand auf die Idee, etwa persönliches und sie belastendes Material über Schwester Georgia, die nun in aller Munde ist, auszugraben und der Öffentlichkeit preiszugeben.

Dieses Recht auf Unversehrtheit der Person wurde in jüngsten Veröffentlichungen mit aller Schärfe verletzt, um Pater Kentenich zu diskreditieren. Wie soll nun der nächste Schritt sein? Soll alles Material etwa über jene Schwester ausgegraben werden, um die wirklichen Hintergründe aufzudecken und unter Umständen ein völlig anderes Licht auf gewisse Vorgänge zu gewinnen? Hier tut sich eine Kluft auf zwischen dem, was wir heute unter Persönlichkeitsrechten im digitalen Zeitalter verstehen, und der Forderung nach lückenloser Aufklärung, auch wenn gerade solche Persönlichkeitsrechte verletzt werden. Es zeigt sich eine Spannung, die nur schwer aufzulösen ist.

Erste wichtige Schritte zur Aufklärung

Mit großer Redlichkeit soll nun versucht werden, einzelne Vorwürfe gegen Pater Kentenich in dem genannten Sinn zu bearbeiten, um einer Klärung der Anfragen näherzukommen.

Dabei soll auch berücksichtigt werden, dass unbestreitbar der Rahmen der Beichte oder der Geistlichen Begleitung einen Raum eröffnen kann, in dem Missbrauch möglich ist. Die voreilige Veröffentlichung, Pater Kentenich habe sexuellen Missbrauch begangen, ist nicht haltbar. Der verbleibende Vorwurf, er habe bei Schwestern seine Stellung als Gründer, Geistlicher Begleiter und Beichtvater missbraucht, um diese Schwestern geistlich und zum Teil menschenverachtend zu unterdrücken, bleibt zu überprüfen. Diesem Vorwurf soll weiter nachgegangen werden trotz der vielfältigen Erfahrungen in den schönstättischen Gemeinschaften, dass Pater Kentenich den Menschen in der Haltung eines außergewöhnlichen Respekts begegnete.

Wir bitten an dieser Stelle alle Mitglieder der Schönstatt-Bewegung um Vertrauen zu unserem ehrlichen Bemühen, mit Ehrfurcht vor allen betroffenen Personen neue und realistische Perspektiven zu erarbeiten und allen zugänglich zu machen.

Beiträge zu einem umfassenderen Bild in der Causa Kentenich

In Kooperation verschiedener Personen aus der Schönstatt-Bewegung werden im Auftrag des Generalpräsidiums des internationalen Schönstattwerkes Themen bearbeitet, die Pater Josef Kentenich, den Gründer der Bewegung, betreffen und die derzeit angefragt sind. Dies geschieht aufgrund des jeweiligen aktuellen Kenntnisstandes, der sich aus den zugänglichen Dokumenten und Schriften ergibt. Die Ergebnisse der Forschungen und Gespräche sind jeweils in themenbezogenen Artikeln zu lesen. Ihre Vorschläge für Themen weiterer Artikel können Sie gerne senden an: mk@schoenstatt.de.

PressOffice Schoenstatt International

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