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„Die kulturelle Prägekraft des Christlichen – eine religionsphilosophische Weiterführung“
Prof. Dr. Dr. Markus Enders, Freiburg, thematisierte beim JKI-Kongress in Schönstatt, Vallendar, die kulturelle Prägekraft des Christlichen (Foto: Brehm)
Sr. M. Nurit Stosiek. Im Abschlussvortrag des wissenschaftlichen Kongresses „Sinn stiften! Die kulturbildende Kraft des Christlichen“ sprach Professor Dr. Dr. Markus Enders, Freiburg, über das sinnstiftende Potential des Christentums und seine kulturelle Prägekraft. Der Inhaber des Lehrstuhls für Christliche Religionsphilosophie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg verwies zunächst darauf, dass seine Aufgabe als Religionsphilosoph nicht die Beschreibung der aktuell erfahrbaren Prägekraft des Christlichen sei, (die ja auch zusehends schwinde) sondern die normative Bestimmung. Er widmete sich zunächst ausführlicher der Frage, was gemeint sei, wenn vom „Sinn“ menschlicher Existenz gesprochen werde.
Enders verwies dazu auf die sprachgeschichtliche Herkunft des Wortes „Sinn“. Dis Substantiv stamme vom Althochdeutschen ‚sinnan‘ = eine Reise unternehmen, eine Fährte suchen bzw. reisen, gehen, fahren. ‚Sinnan‘ bedeute aber auch streben, ein Ziel geistig verfolgen. Im modernen Sprachgebrauch hätten zwei etymologische Grundbedeutungen Eingang gefunden: Semantisch meine „Sinn“ den begrifflichen Gehalt von Termini oder Sätzen. Existenziell habe „Sinn“ die Bedeutung von Ziel, Zweck oder Wert. Dieses Sinnverständnis liege der Logotherapie und Existenzanalyse Viktor E. Frankls zugrunde:
Abschlussvortrag des Kongresses "Sinn finden! dir kulturprägende Kraft des Christlichen" (Foto: Brehm)
Die objektive, unverfügbare Sinnbestimmtheit des menschlichen Daseins nach Viktor E. Frankl
Existenzieller Sinn könne „nicht erfunden, sondern muß entdeckt werden“ (Frankl). Eine unverfügbare Sinnbestimmung könne nicht von einem bloßen, persönlichen Sinngefühl herkommen. Sie könne nur durch einen objektiven Sinnanspruch von außen kommen. Frankl verweise im Anschluss an den Philosophen Max Scheler auf Werte:
Sinn wird durch Werte verwirklicht
Dabei unterscheide Frankl drei Werttypen, denen jeweils ein Sinnbedürfnis des Menschen entspreche: Schöpferische Werte, die Sinnansprüche an das Bedürfnis des Menschen nach Gestaltung von Wirklichkeit stellten und ihn in die Verantwortung nähmen; Erlebniswerte, die ihn in seiner Genuss- und vor allem in seiner Liebesfähigkeit ansprechen und anziehen würden, sowie Einstellungswerte wie z.B. Tapferkeit, Geduld, Demut, Opferbereitschaft. Hier gehe es um Leidensfähigkeit. Zwischen den drei Wert-Typen bzw. Sinnmöglichkeiten könne es zu Konflikten kommen. Die Instanz, die diesen inneren Konflikt zu entscheiden habe, sei das Gewissen.
Gewissen als Sinn-Organ
Damit das Gewissen zu dieser objektiven Klärung fähig sei, müsse es in einer grundlegenden Beziehung zu einer absoluten Wertperson stehen, zu Gott. Ihm gegenüber müsse sich das Gewissen verantworten. Das Gewissen sei für Frankl gleichsam das Einfallstor und das Sprachrohr der personalen Transzendenz. Sich selbst zu transzendieren – auf Andere und Anderes hin – lasse den Menschen erst ganz Mensch sein.
Der „Über-Sinn“ als umfassender und letzter Sinn des menschlichen Lebens
Der Mensch suche nicht nur in einzelnen Situationen Sinn, sondern die große Sinnperspektive, auf die die situativen Sinngebungen hingeordnet wären, seien wie Einzelszenen eines Films zur Gesamthandlung. Diesen umgreifenden Gesamtsinn des eigenen Lebens und des Weltganzen nenne Frankl den Übersinn. Vor allem die Religion biete dem Menschen diesen Übersinn, von dem her das Leben bewältigt werden könne: „Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie“.
Das christliche Sinn-Angebot für das menschliche Dasein
Dem Christentum wohne fraglos das Potential einer kulturellen Prägekraft inne, und zwar vor allem im Bereich der Sinn-Findung für die menschliche Existenz. Großartige Werke aus dem Bereich der Musik, der Literatur, der Architektur usw. seien geschichtliche Zeugen dafür. Aber die Frage in der Gegenwart wäre: Werden die Möglichkeitsbedingungen für die Entfaltung dieses Potentials durch die Künstliche Intelligenz (= KI) erweitert oder eingeschränkt?
Im Sinn seines Fachgebietes wendet sich Professor Enders der Frage zu, worin das normative Sinn-Angebot des Christentums bestehe? – Seine Auskunft: Wir Menschen seien hier auf Erden, um in der Nachfolge Christi den Willen des göttlichen Vaters für unser Leben nach Kräften zu erfüllen, d. h. das „Persönliche Ideal“ (nach Josef Kentenich), also die Idee Gottes bzw. dessen Plan für unser individuelles, persönliches Leben, zu erkennen und zu verwirklichen, soweit es an uns selbst liege.
Enders verwies auf die von ihm begleitete Dissertation über Joseph Kentenich und Hermann Hesse von Ullrich Glatthaar, durch die er dieses Konzept näher kennengelernt habe (Foto: Brehm)
Kentenichs Konzept des sog. „Persönlichen Ideals“ als objektive Sinnbestimmung
Josef Kentenich versuche diese objektive Sinnbestimmung der je individuellen Existenz des Menschen in dem von ihm entworfenen Konzept des sog. „Persönlichen Ideals“ (PI) zu fassen. Professor Enders verwies auf die von ihm begleitete Dissertation über Joseph Kentenich und Hermann Hesse von Ullrich Glatthaar, durch die er dieses Konzept näher kennengelernt habe (Buchvorstellung bei schoenstatt.de),
Aus psychologischer Sicht sei das PI die „ureigene Werteempfänglichkeit“ bzw. der Grundzug und die Grundstimmung einer Person, aus der sich ihr Aufgabenideal mit daraus ableitbaren konkreten Inhalten ergebe. In philosophischer Perspektive sei jeder Mensch die Inkarnation eines präexistenten, originellen bzw. individuellen Schöpfungsgedankens Gottes, der sich im PI zeige. Dem entsprechend beschreibe die theologische Definition das PI als „eine originelle Darstellung und Nachahmung der gottmenschlichen Vollkommenheiten“.
Die objektiven Erkenntniskriterien für das PI eines Menschen entsprächen nach Kentenich einem dreifachen Bedürfnis jedes Menschen: nach Geschlossenheit und Harmonie, nach gesunder organischer Entwicklung und nach Ausprägung einer individuellen, unverwechselbaren Persönlichkeit. Als Kriterien, um aus dem PI kommende Antriebe den gottgewollten Grundzug zu identifizieren, könnten gelten: Stärkung von persönlicher Identität bzw. Integrität, Kontinuität der Antriebsrichtung über einen längeren Zeitraum hinweg, Entfaltung der Originalität und schließlich Potentialität, Vorhandensein von Wachstums- und Entwicklungspotential. Mittel und Wege der konkreten alltagsrelevanten Umsetzung eines PI seien das „Partikularexamen“ als Langzeitprogramm der Selbsterziehung in etappenweiser Veredelung der Hauptleidenschaften; die „Geistliche Tagesordnung“ als schrittweise Annäherung an das „Persönliche Ideal“ im Tagesablauf; geistliche Begleitung durch geistliche Vorbilder. Einbindung in eine geistliche Gruppe oder Gemeinschaft. Das PI könne als „motivationale Leitbildtheorie“ (Glatthaar) bzw. als eine „theonome Persönlichkeitstheorie“ (Glatthaar) verstanden werden, die aber die personale Autonomie zur vollen Entfaltung bringen würde.
Der Referent endete seine Ausführungen mit dem Wort: „Wer dieser Sinnbestimmung seiner irdischen Existenz nach Kräften nachkommt, wird seinen von Gott vorgesehenen Beitrag zur kulturellen Prägekraft des Christentums in unserer Gesellschaft leisten.“