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26. Oktober 2024 | Deutschland | 

Persönlichkeitsbildung als Kernformel von Kulturbildung


Schwester Dr. M. Elizabet Parodi, Schönstätter Marienschwester, referierte zum Thema „Die Kultur der Seele ist die Seele der Kultur (Josef Kentenich) – Persönlichkeitsbildung als Kernformel von Kulturbildung“ (Foto: Brehm)

Schwester Dr. M. Elizabet Parodi, Schönstätter Marienschwester, referierte zum Thema „Die Kultur der Seele ist die Seele der Kultur (Josef Kentenich) – Persönlichkeitsbildung als Kernformel von Kulturbildung“ (Foto: Brehm)

Sr. M. Nurit Stosiek. Die Theologin Schwester Dr. M. Elizabet Parodi, Schönstätter Marienschwester aus Argentinien, derzeit zu Forschungszwecken in Deutschland, referierte beim Kongress „Sinn stiften! Die kulturbildende Kraft des Christentums“ über das Thema „Die Kultur der Seele ist die Seele der Kultur (Josef Kentenich) – Persönlichkeitsbildung als Kernformel von Kulturbildung“. Nicht zunächst die Verkündigung der christlichen Botschaft, sondern ihre Verkörperung in Menschen sei der geheime Motor, der Kultur zutiefst menschlich mache.

Das sei der Ansatz Josef Kentenichs gewesen. Er habe schon zu Anfang des 20. Jahrhunderts wahrgenommen, dass ein Kulturumbruch großen Ausmaßes im Gang sei, der einen „schöpferischen Neubau unserer religiösen Kultur und gesamten Erziehung“ (J. Kentenich) verlange. Die Kirche, so schreibe er, versuche vielfach „Menschen zu erfassen suchen, die schon nicht mehr existieren. Die haben einmal existiert.“ Es komme darauf an, „die Menschen zu erfassen und zu formen, so wie sie heute existierten, mit ihrer jetzigen seelischen Struktur, mit ihren augenblicklichen seelischen Nöten und Kämpfen“, betone Kentenich.

Die Seele der Kultur: Sinnstiftung

Die Digitalisierung verändere das Menschsein in einer nie dagewesenen Weise. Mit Verweis auf den Psychoanalytiker Rainer Funk stellte Sr. M. Elizabet fest: Wir „de-aktivieren“ unsere seelischen Eigenkräfte „wie Funktionen einer Software“ (Funk). Die digitalen Medien „organisieren auch unser Seelenleben, unsere Antriebs- und Gefühlskräfte neu und verändern das Ich-Erleben“ (Funk). Die digitale Kultur eröffne zwar ein Tor jenseits der Realität. Aber es führe ins Virtuelle, nicht ins Transzendente. Damit gerate auch die Sinnfrage aus dem Blick. In diesem Zusammenhang verwies die Referentin auf eine interessante Parallele zwischen zwei KZ-Häftlingen, die einander nie begegnet seien: Viktor Frankl und Josef Kentenich. Beide seien überzeugt gewesen, dass es nicht darauf ankomme, im KZ zu überleben. Entscheidend sei die Frage, ob es einen Sinn gebe, der auch die grausamen Qualen und das Sterben im KZ umfasse.

Neben den Teilnehmenden in der Kongressaula im Pater-Kentenich-Haus, gab es für weitere Zuhörer die Möglichkeit, online teilzunehmen (Foto: Brehm)

Neben den Teilnehmenden in der Kongressaula im Pater-Kentenich-Haus, gab es für weitere Zuhörer die Möglichkeit, online teilzunehmen (Foto: Brehm)

Parodi: "Heute kann es nicht mehr um die eine christliche Kultur gehen. Aber 'eine internationale Welle quer durch alle Völker und Nationen' (J. Kentenich) kann die kulturbildende Kraft des Christlichen in die Kulturen der Weltgesellschaft hineintragen." (Foto: Brehm)

Parodi: "Heute kann es nicht mehr um die eine christliche Kultur gehen. Aber 'eine internationale Welle quer durch alle Völker und Nationen' (J. Kentenich) kann die kulturbildende Kraft des Christlichen in die Kulturen der Weltgesellschaft hineintragen." (Foto: Brehm)

Bindungen und Rückbindung an den lebendigen Gott

Der postmoderne Mensch müsse vielfach erst zu einer „Sinnfähigkeit“ zurückfinden. Das sei das Anliegen J. Kentenichs – es lasse sich auf die Formel bringen: Die Kultur der Seele: natürliche Bindungen und Rückbindung an den lebendigen Gott. Josef Kentenich beobachte den Zerfall der natürlichen Bindungen als die geheime Zeitkrankheit. Die Pastoral müsse an der Stärkung des Natürlichen ansetzen.

Ende der 1940er Jahre habe der Schönstatt-Gründer dem Bischof von Trier die dringliche Bitte unterbreitet, die einseitig übernatürliche Erziehung in den Priesterseminaren ganzheitlicher zu gestalten. Sonst sei zu befürchten, dass sich sexuelle Entgleisungen gerade auch unter Priestern in den nächsten Jahrzehnten verheerend auswirken würden. Der Bischof reagierte empört, auch ein weiterer Vorstoß Kentenichs blieb vergeblich. Parodi kommentiert: dafür habe die Kirche mittlerweile einen hohen Preis bezahlt.

Die Referentin beschreibt kurz drei für Schönstatt relevante Wahrheiten, die der heutigen Kultur Ausgleich und Bereicherung geben könnten: „Ich bin die Lieblingsbeschäftigung Gottes“: Religion brauche emotionale Beteiligung, solle sie den Menschen ergreifen. Aber gerade sie sei heute stark vermindert oder sogar de-aktiviert durch die stets erreichbare Stimulation der Erlebnisangebote.

Kentenich setze auf das „Geheimnis der Heiligen“ (Epistola Perlonga S. 324), auf die Erfahrung, von Gott persönlich geliebt zu sein. Das müsse „ganz tief hineingeankert und verankert (sein) in unser Unterbewusstsein“ (J. Kentenich). Hier seien natürliche Vorerfahrungen wichtig.

Josef Kentenich entwickelte als geistliche Kernübung das „Durchsichtigmachen“ natürlicher Erfahrungen auf die Liebe Gottes hin. Gottes persönliche Liebe müsse zum Grunderlebnis werden. Während seiner KZ-Haft habe er eineinhalb Jahre lang dieses Durchsichtigmachen jeden Abend mit anderen Häftlingen geübt. „Das trug sie durch.“

Authentische Selbstentfaltung als Ausgleich zur simulierten Identität

Die „simulierte Identität“ (Funk) der Digitalität sei für viele interessanter als die eigene Persönlichkeitsentfaltung. Der heutige Mensch müsse erleben, dass die interessantesten Möglichkeiten in ihm selbst liegen würden. Hier entwickelte Josef Kentenich von Anfang an das, was er später als ‚Persönliches Ideal‘ beschrieb. Das Persönliche Ideal sei kein Konstrukt, sondern eine vitale Dynamik im Menschen, es gebe „Antwort ... auf meine Urbedürfnisse“ (J. Kentenich). Es werde aktiviert durch die Begegnung mit Wahrheiten, Erlebnissen, Personen, Orten, Dingen, die im Innern Resonanz wecken und damit die Persönlichkeit in ihrer Einmaligkeit zum Klingen bringen würde. Damit werde im Menschen etwas wach, was unsere Kultur dringend brauche: Großmut, die Hochherzigkeit, sich etwas abzufordern, aber auch die Kraft, Rückschläge zu ertragen und persönliches Versagen zu verarbeiten.

Ein Netzwerk seelischer Verbundenheiten als Ausgleich zur digitalen Unverbindlichkeit

Beziehungen seien postmodernen Menschen wichtig, aber es sei eher ein „bindungslose(s) Verbundensein über Kontaktmedien“ (Funk). Pater Kentenich habe demgegenüber an der Vision eines seelischen In-, Mit- und Füreinanders gearbeitet. Er habe an der „Kultur der Seele“ beim Einzelnen angesetzt. Aber diese Einzelnen seien weltweit seelisch verbunden durch das so genannte „Liebesbündnis“ mit Maria. Die erste Kapelle im Tal Schönstatt, das Urheiligtum, sei mittlerweile in mehr als 210 Heiligtümern in 35 Ländern vervielfältigt. Diese Heiligtümer habe Pater Kentenich als Knotenpunkte gesehen, von denen eine Erneuerung der Kulturen im christlichen Geist ausgehen könne. Heute könne es nicht mehr um die eine christliche Kultur gehen. Aber „eine internationale Welle quer durch alle Völker und Nationen“ (J. Kentenich) könne die kulturbildende Kraft des Christlichen in die Kulturen der Weltgesellschaft hineintragen.


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