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Symboltheoretischer Zugang zum Thema „Sinn stiften“ – Wissenschaftlicher Kongress in Schönstatt
Prof. Dr. Günter Wilhelms, Theologe, Philosoph und Soziologe und seit 2004 Inhaber des Lehrstuhls für Christliche Gesellschaftslehre an der Theologischen Fakultät Paderborn, referierte zum Thema: „Sinn stiften: ein symboltheoretischer Zugang“ (Foto: Brehm)
Cbre/Hbre. Am zweiten Tag des wissenschaftlichen Kongresses „Sinn stiften! Die kulturbildende Kraft des Christlichen“ im Pater Kentenich Haus in Schönstatt-Vallendar wurden vormittags Beiträge aus der Theologie eingebracht, nachdem am Abend zuvor die Technikwissenschaft zu Wort gekommen war. Prof. Dr. Günter Wilhelms, Theologe, Philosoph und Soziologe und seit 2004 Inhaber des Lehrstuhls für Christliche Gesellschaftslehre an der Theologischen Fakultät Paderborn, referierte zum Thema: „Sinn stiften: ein symboltheoretischer Zugang“.
Sinnfindung läuft über Symbole
Zunächst griff Professor Dr. Wilhelm die Impulse des Kulturphilosophen Ernst Cassirer (1874-1945) auf, auf den Dr. Joachim Söder am Vorabend des Kongresses schon einen Blick geworfen hatte. Cassirer sehe den Menschen als Wesen, das über sich hinausgehe. Der Mensch schaffe sich immer seine Welt. Was den Menschen zum Menschen mache, sei sein Handeln. Cassirer habe die Vielfalt der sozialen und kulturellen Gestaltungen analysiert und nach einer alles verbindenden Kraft gesucht. Der Mensch könne nicht anders, als sich auf die Bedingungen seines Daseins einzustellen. Er lebe nicht mehr in einem physikalischen, sondern einem „symbolischen“ Universum. Statt mit den Dingen habe es der Mensch mit sich selbst zu tun. Nicht die Dinge verstörten den Menschen, sondern seine Meinung und Vorstellung von den Dingen, sage Epiktet.
Hier erweitere Cassier den Vernunftbegriff: Alle Formen seien symbolische Formen. Daher sollte der Mensch als animal symbolicum definiert werden. Schon in primitiven Kulturen und auch in hochentwickelter Technik finde sich diese Symbolbildung. Damit werde deutlich, Sinnfindung laufe über Symbole.
Symbolische Vorstellungen durch den Gebrauch von Sprache
Wilhelm wies auf den Gebrauch von Sprache hin, der den Prozess deutlich mache. Zunächst müsse Sprache gelernt und übernommen werden. Aber im Gebrauch erfahre sie einen steten Bedeutungswandel. Doch Sprache existiere nur dadurch, dass sie gesprochen und tradiert werde. „Weil der Empfangende die Sprache nur aufnehmen kann, indem er sie gebraucht, drückt er ihr eine immer neue Prägung auf,“ so der Referent. Die Kindersprache zeige den Durchbruch von der Lebensunmittelbarkeit hin zur Fixierung bestimmter symbolischer Vorstellungen durch die Sprache. In dem Augenblick, als das Kind bemerke, dass die Worte Symbole seien, dass jedes Ding einen Namen habe, erwache ein regelrechter Namenshunger, eine Manie des Benennens. Seine Wissbegier richte sich auf die Gewinnung und Fixierung bestimmter gegenständlicher Vorstellungen. Es wolle dadurch einen Gegenstand gewissermaßen in Besitz nehmen. Oder mit der rituellen Selbstbeschwörungsformel „keine Angst“, wolle sich das Kind von der angstmachenden Realität distanzieren und Kontrolle gewinnen. Daraus schließe Cassirer: Gegenstände werden zum Spiegel des Ich. Gegenstände ermöglichen, sich aus Passivität und Betroffenheit zu befreien und in eine aktive Rolle zu gehen.
Auch der Mythos wie auch die Religion stünden in unmittelbarem Zusammenhang mit der Sinnstiftung: Im Mythos würden Gefühle intuiert, in Bilder gewandelt. Die Kunst im Zwischenbereich zwischen Mythos und Wissenschaft/Technik angesiedelt, trage das Zeugnis einer individuellen Lebensform in sich. Wenn eine Ausdrucksform alle Lebensbereiche dominiere – z.B. die Technik oder die Wirtschaft – werde es gefährlich, so Wilhelm. Die Aufgabe der Politik bestehe dann z.B. darin, den Ausgleich durch andere Ausdrucksformen zu sichern. Als Antipoden zu Wirtschaft und Technik also z.B. Kunst, Religion, Ethik und Bildung zu fördern.
Kongressaula im Pater-Kentenich-Haus, Berg Schönstatt, Vallendar (Foto: Brehm)
Verarmung der Gesellschaft durch den Verlust von Sinnlichkeit
Der Psychoanalytiker und Sozialpsychologie Alfred Lorenzer (1922-2002) spreche in der Tradition der „Kritischen Theorie“ von einer Verarmung der Gesellschaft durch den Verlust von Sinnlichkeit. Was nicht dem Rationalen unterliege, sei nicht mehr artikulierbar. In diesem Zusammenhang griff der Referent Lorenzers Kritik an der Liturgiereform der kath. Kirche auf. Die Liturgie in der katholischen Kirche sei ein wichtiger Raum der Symbolisierung. Doch sie habe durch die Reform ihre Kraft verloren. Hier sei ein Raum zerstört worden, der in der durchrationalisierten Welt einen Handlungsspielraum ermöglicht habe. Was Lorenzer sage, zeige sich in der aktuellen Debatte bei Armin Nassehi und Hartmut Rosa:
Der systemtheoretisch orientierte Soziologe Nassehi glaubte noch vor einigen Jahren eine Wiederbelebung von Religion zu erkennen. Die rituelle Geste stehe für etwas Äußeres, das man nicht in die Schranken des Rationalen verweisen könne.
Hartmut Rosa sehe Sinnstiftung als Wechselwirkung zwischen Subjekt und Welt. Er nutze den Begriff der Resonanz, um gelungene Symbolbeziehung zu kennzeichnen. In der modernen Gesellschaft, die durch fehlende Wechselwirkungen gekennzeichnet sei, sei es zentral, nach Orten und Räumen zu suchen, wo Resonanzerfahrung überhaupt noch möglich sei. Hier kämen Kunst, Kultur und Religion ins Spiel. Besonders die Religion erinnere daran, dass eine andere Weltbeziehung als die steigerungsorientierte technisch-wirtschaftliche möglich sei.
In diesem Zusammenhang war es Wilhelm wichtig, darauf hinzuweisen, dass diese für die Kirche schmeichelhaften Analysen von kirchlichen Amtsträgern nicht zu schnell übernommen werden sollten. Es gelte sie zu relativieren, sonst komme die Kirche in eine Kompensationsrolle, die einen Rückzug aus den nicht religiösen Lebensbereichen bedeuten könne. „Es entspricht nicht dem kirchlichen Selbstverständnis, sich zurückzuziehen. Die Folge könnte sein, dass andere wichtige Dinge wie z.B. der Weltdienst vernachlässigt würden“, so machte Wilhelms deutlich.
In einem Diskussionsbeitrag nach dem intensiven Referat machte ein Teilnehmer auf die Kongenialität des Referates mit dem Ort, an dem es gehalten wurde, aufmerksam: In der Zeit, in der Cassierer den Weg von der geistigen Luft des Neukantianismus zur Kulturphilosophie gegangen sei, habe Pater Kentenich, der Gründer Schönstatts, den geistigen Weg zurückgelegt von der trockenen Neuscholastik in eine umfassende Sicht des Menschlichen und des Religiösen. Die Grundlegung von Ausdruck, von Ausdrucksformen und dahinter stehenden Lebensvorgängen sei ein wichtiger und notwendiger Einstiegspunkt gewesen.