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24. Oktober 2021 | Deutschland | 

Bildung wozu – Ein Abschlussnachmittag, der es nochmals in sich hatte


Religiöse Bildung (Schaubild: Prof. Dr. Clauß Peter Sajak)

Religiöse Bildung (Schaubild: Prof. Dr. Clauß Peter Sajak)

C&Hbre. In drei weiteren Dialogforen waren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Kongresses „Bildung wozu?“ eingeladen, sich mit weiteren Facetten der Thematik auseinander zu setzen. Ein Gespräch mit P. Frank Riedel zum Thema “Bildung als Entfaltung des eigenen Potentials” gab Einblicke in die sogenannte „Lebensschule Schönstatt“ für junge Männer. Welche Bedeutung “Haltung und Werte in der beruflichen Bildung“ haben, konnte mit Prof. Dr. Kathrin Bieler besprochen werden. Im Gespräch mit Pater Prof. Dr. Ulrich Engel gab es Einblicke über das Konzept und den aktuellen Stand der Vorbereitung des “Campus für Theologie und Spiritualität, Berlin“, der mit einem ganzheitlichen Ansatz akademischer Bildung wissenschaftlich-theologische, spirituelle und praktische Dimensionen neu zusammen zu denken versucht. Im Anschluss daran gab es vor dem Kongressabschluss einen Vortrag zum religiösen Sinn in der Bildung.

Die religiöse Dimension von Bildung und Erziehung

Die religiöse Dimension von Bildung und Erziehung sei zumindest für religiöse Menschen und für Menschen, die den Glauben an andere weitergeben wollen, die alles entscheidende Dimension. Mit dieser Feststellung eröffnete Prof. Dr. Clauß Peter Sajak, Professor für Religionspädagogik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster, seinen Beitrag beim Kongress „Bildung wozu?“ in Schönstatt, Vallendar. Es sei für den religiösen Menschen das Ergebnis eines langen Bildungsprozesses, wenn er von der Fügung Gottes spreche, während der säkulare Mensch den Zufall bemühe, um für ein und dieselbe Erfahrung Sinn zu konstruieren.

Prof. Dr. Clauß Peter Sajak, Münster (Foto: Brehm)

Prof. Dr. Clauß Peter Sajak, Münster (Foto: Brehm)

Religiöse Bildung ziele darauf ab, mit einem tiefen Blick auf die Wirklichkeit zu schauen, eine religiöse Weltdeutung dafür anzubieten und zu einer persönlichen Positionierung dazu anzuregen. Jürgen Baumert habe im Kontext der Pisa-Studie als Voraussetzung für Bildung vier Modi der Weltbegegnung identifiziert, die alle notwendig seien und sich nicht gegenseitig ersetzen könnten. Neben der kognitiv-instrumentellen Rationalität (in der Schule abgebildet durch Mathematik und Naturwissenschaften), der moralisch-evaluativen Rationalität (Geschichte, Wirtschaft, Sozialkunde, Politik, Recht) und der ästhetisch-expressiven Rationalität (Sprachen, Literatur, Kunst, Musik), stehe auch die ultimativ-konstitutive Rationalität (Religion und Philosophie). Konstitutiv oder vorausgesetzt sei diese Rationalität, weil sie die Grundkategorien (z.B. Gott), sowie Erklärungs- und Deutungsmuster (Schöpfung), liefere, mit denen der Mensch sich mit dem Ultimaten, also dem Zugrundeliegenden und damit dem Ganzen von Wirklichkeit auseinandersetzen könne. Schulische Bildung, die auf das Leben vorbereiten wolle, „muss alle vier Weltzugänge eröffnen, bearbeiten und einüben“, so Sajak.

Zur religiösen Bildung, die im Spannungsfeld einer „heiklen Balance zwischen Verkündigungsgestus auf der einen Seite und natürlich Überwältigungsverbot auf der anderen Seite“ stehe, gehöre religiöses Lernen, das dem Wissensaufbau und auch der Verhaltensänderung diene, religiöse Kompetenz, die zur Deutung und zur Partizipation befähige und auch die religiöse Erziehung. Hier, so Sajak, plädiere er für eine etwas bescheidenere Definition: „Religiöse Erziehung sollte darauf abzielen, durch intentionales Handeln und natürlich durch den Einsatz angemessener Mittel und Maßnahmen, jene Kenntnisse, Fähigkeiten und Einstellungen von Kindern und Jugendlichen zu verbessern, die zu einer möglichen Teilhabe am religiösen Leben einer Glaubensgemeinschaft dienen können.“ Dabei bleibe religiöse Erziehung immer subsidiär, denn religiös bilden, durch religiöse Lernprozesse und religiöse Kompetenzentwicklung müsse jeder Mensch sich selber. Das sei ja das Drama von Schule und von Bildung überhaupt.

Der Referent warf auch einen Blick auf die unterschiedlichen Orte sowie die unterschiedliche Intensität, in denen religiöse Bildung in Deutschland stattfinde. Überraschend sei laut aktueller Forschungen, dass der Lernort Familie, an dem nach seinem Empfinden die religiöse Erziehung noch am stärksten greifen könnte, sowie der Lernort der kirchlichen Kindertagesstätten nur noch wenig Effekte zeige. Es seien die gemeindlichen Sakramentenkatechesen, insbesondere die Erstkommunionvorbereitung und auch der schulische Religionsunterricht der Grundschule und der gymnasialen Oberstufe, die hinsichtlich der Wirksamkeit und Nachhaltigkeit aus Sicht der empirischen religionspädagogischen Forschung durchaus erfolgreich seien.

Abschließend warb Sajak darum, dass kirchliche Bildungsagenturen sich darauf besinnen sollten, „Menschen zu ermächtigen, das Ganze von Wirklichkeit in den Blick nehmen, um sich dann zu diesem Ganzen in ein Verhältnis setzen zu können.“ Alle Seiten würden dabei viel gewinnen, wenn „dieses Engagement in dem vollen Bewusstsein geschehe, dass diese Bildungsangebote primär nicht auf Tradierung oder auf Rekrutierung zielen, sondern auf Befähigung und Ermächtigung der sich Bildenden.“

Kongress „Bildung wozu?“ – Thesen zur Bindungs-, Werte- und Sinnorientierung

Zum Abschluss des Kongresses „Bildung wozu? Bindungs- Werte- und Sinnorientierung in einer Zeit der Fragmentierung“ war der Leiter des Kongresses Prof. Dr. Joachim Söder gefordert, die Beiträge und Diskussionen der Tagung zusammenzufassen. Das sei an sich schon überfordernd, erst recht dann, „wenn die Beiträge und Diskussionen einer Tagung mehr Erkenntnisse bringen, als der wissenschaftliche Leiter vorgesehen hat“, so Söder.

Kongressabschluss: Prof. Dr. Joachim Söder, wissenschaftlicher Leiter (Foto: Brehm)

Kongressabschluss: Prof. Dr. Joachim Söder, wissenschaftlicher Leiter (Foto: Brehm)

Am Anfang des Kongresses hätten zum Thema „Bildung wozu?“ die beiden aufschlüsselnden Fragen gestanden: „Bildung warum?“ und „Bildung woraufhin?“. Schon durch den ersten Vortrag sei klar geworden, dass diese beiden Fragen durch die Frage „Bildung wodurch?“ unbedingt ergänzt werden müssen, denn im Bildungsprozess gehe es immer um Personen, die prägen, die Räume von Freiheit eröffnen, die dem Menschen ermöglichten, sich in Freiheit zu bilden. Bei der Frage „Bildung warum?“ gehe es letztlich um Humanität. Dieser etwas sperrige Begriff lasse sich mit dem Wort aus dem 1. Artikel des Grundgesetzes übersetzen. Es gehe um die Würde des Menschen, „in Freiheit, zu eigener, eigenständiger, eigenverantwortlicher Selbstbestimmung zu finden.“

Vier Stationen, so Söder, hätten die Kongressteilnehmerinnen und -teilnehmer innerhalb dieser zwei Tage abgeschritten: „Bildung und Bindung“, „Bildung und Freiheit“, „Bildung und Werte“ sowie „Bildung und Sinn“. Daraus lasse sich der Kongress aus seiner Sicht mit vier Thesen zusammenfassen:

These 1: Bildung ist Selbstgestaltung in Freiheit, das sei altbekannt, müsse aber immer wieder neu betont werden. Schon W. von Humboldt habe gewusst, dass Bildung ihren Ursprung im Inneren der Seele jedes Menschen habe. Sie könne durch äußere Veranstaltungen veranlasst, aber nie hervorgebracht werden. Ein Bildungsangebot zu machen sei „selbstlos fremdem Leben dienen“.

These 2: Freiheit zur Bildung setzt Bindung voraus. Martin Buber drückte es so aus: „Ich werde am Du. Ich werdend spreche ich Du. Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“ Personale Bindung könne Prozesse der Ermutigung, der Selbstermächtigung und der Selbstgestaltung in Gang setzen, die für Bildung Voraussetzung seien.

These 3: Ganzheitliche Bildung ist wertsensibel. Etwas müsse Resonanz finden. Für Hartmut Rosa seien Resonanzerfahrungen „identitätskonstituierende Erfahrungen des Berührt- oder Ergriffenseins.“ Als solche hätten sie „eine emotionale Qualität“. Nach Rosa sei gelingendes Leben durch Resonanzachsen gekennzeichnet, die die „Welt tönend und farbig und das eigene Selbst bewegend, sensitiv, reich werden lassen“. Professor Dr. Söder lud ein, das Wort Resonanzachsen mit dem Wort Werte zu ersetzen. So würde nochmals neu deutlich, welch wichtiger Stellenwert Werte in unserem Leben einnehmen.

These 4: Humane Bildung interpretiert die Sinndimension. Charles Taylor zeige sich überzeugt, dass jedem Individuum ganz unterschiedliche Werte wichtig sein könnten. Letztlich käme es aber darauf an, diese Werte zu einer Ganzheit zusammenzufügen. Das nenne Taylor den Hyperwert, den Wert der Werte, den Wert, der alles zusammenhalte. Dieser Hyperwert wäre dann der Orientierungspunkt für den Menschen und seinen einzuschlagenden Weg.

Aus diesen Thesen, so der wissenschaftliche Leiter des Kongresses mit einem Augenzwinkern und unter zustimmendem Lachen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, ergäben sich vier Themen für Kongresse in den kommenden Jahren: „Bildung durch Bindung auf Weltoffenheit hin“, „Bildung in Freiheit zur Selbstverantwortung“, „Bildung zum gelingenden Leben durch Wertresonanz“ und „Bildung zur Persönlichkeit im umfassenden Sinne“.

 


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