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23. Oktober 2021 | Deutschland | 

Bildung wozu? – Freiheitsgeschehen und Selbstwirksamkeit


Prof. Dr. Joachim Söder, Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen, Wissenschaftlicher Leiter des Kongresses "Bildung wozu?" (Foto: Brehm)

Prof. Dr. Joachim Söder, Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen, Wissenschaftlicher Leiter des Kongresses "Bildung wozu?" (Foto: Brehm)

C&Hbre. Zum Programm des Kongresses „Bildung wozu“ gehörten in den frühen Nachmittagsstunden zwei Dialogforen. „Wegweiser – Gemeinsam gegen Islamismus“ stellte ein Präventionsprogramm des Landes Nordrhein-Westfalen vor, bei dem örtliche Träger mittels Beraterinnen und Beratern mit lokalen Netzwerkpartnern zusammenarbeiten, um den Einstieg junger Menschen in den Islamismus zu verhindern. Im zweiten Dialogforum „Brauchen wir gegenwärtig den Religionsunterricht noch?“ stellten Jun.-Professorin Dr. Britta Baumert (Vechta) und Dr. phil. Caroline Teschmer (Osnabrück) ihr Konzept zum konfessionell-kooperativen Religionsunterricht vor, der Dialog- und Toleranzfähigkeit fördern und gleichzeitig zur Identitätsentwicklung und Positionalität mit Blick auf religiöse Fragen beitragen möchte. Im Anschluss gab es zwei weitere Vorträge von PD Dr. Paul Platzbecker und Sr. Dr. Dorothea M. Schlickmann.

Bildung als Freiheitsgeschehen

"Bildung ist zu verstehen als ein 'praktisches System' in einem Handlungsraum der Freiheit": PD Dr. theol. habil. Paul Platzbecker, Leiter des Institutes für Lehrerfortbildung, Essen (Foto: Brehm)

"Bildung ist zu verstehen als ein 'praktisches System' in einem Handlungsraum der Freiheit": PD Dr. theol. habil. Paul Platzbecker, Leiter des Institutes für Lehrerfortbildung, Essen (Foto: Brehm)

In einer Zeit grundlegender bildungspolitischer, gesellschaftlicher und kultureller Transformationen, sei es wichtig zu fragen, ob diese zu einer „Ermächtigung oder Entmächtigung des Subjektes“ führten, das machte PD Dr. theol. habil. Paul Platzbecker in seinem Beitrag zum Tagungsthema aus dem Blickwinkel der Philosophie deutlich. Die heute enttraditionalisierte Gesellschaft, die in einen radikalen Pluralismus übergehe, sei bei immer mehr Optionen einerseits ein Freiheitsgewinn, führe andererseits aber auch zu einer Überforderung, „zum Gefühl der Verlorenheit, der Unbehaustheit, ein Gefühl von dem viele Jugendliche heute sprechen“. In dieser Situation sei Bildung ein absolutes „Megathema“, jedoch müsse man gleichzeitig eine semantische Entleerung des Begriffes Bildung und den Verlust eines „einheitlichen Bildungsbegriffes und einer einheitlichen Bildungstheorie“ (Peter Biehl) konstatieren.

Solange die „Vorstellungen eines einheitlichen Subjektes, einer autonomen Vernunft, eines freien Willens [sowie] des Wahrheitsanspruches von Vernunft“ (Volker Ladenthin) als unaufhebbare Essentials einer Bindungstheorie nicht wirklich überzeugend widerlegt werden könnten, könne man immer noch von Erziehung und Bildung sprechen, die in der Freiheit des Subjektes grundgelegt sein könne.

Der Leiter des Institutes für Lehrerfortbildung, Essen, der „Freiheit“ als sein Lebensthema bezeichnete, stellte Überlegungen vor, die zur Wiedererlangung eines freiheitstheoretischen Bildungsbegriffs führen könnten. Dabei finde Freiheit ihren adäquaten Gehalt alleine in der Anerkennung der Freiheit anderer, weshalb Bildung auch als „praktisches System“ in einem Handlungsraum der Freiheit zu verstehen sei.

Freiheit und Selbstwirksamkeit

"Freiheit ist immer Freiheit 'von' etwas und Freiheit 'für' etwas": Sr. Dr. Dorothea M. Schlickmann, Vallendar-Schönstatt (Foto: Brehm)

"Freiheit ist immer Freiheit 'von' etwas und Freiheit 'für' etwas": Sr. Dr. Dorothea M. Schlickmann, Vallendar-Schönstatt (Foto: Brehm)

Die Mammutaufgabe, den pädagogischen Ansatz Josef Kentenichs zum Thema „Freiheit und Selbstwirksamkeit“ darzustellen, hatte Sr. Dr. Dorothea M. Schlickmann, Vallendar-Schönstatt, übernommen. Freiheit sei immer Freiheit von etwas und Freiheit r etwas. Das Schwergewicht liege in unserer Gesellschaft auf der Freiheit von z.B. äußere Freiheit, Pressefreiheit, freie Meinungsäußerung, freie Berufswahl …, frei zu sein von Zwang und Fremdbestimmtheit. Dagegen bleibe die Frage Freiheit für offen. Josef Kentenich habe diese Fragestellung in den Mittelpunkt seines pädagogischen Ansatzes gestellt und dränge darauf, Bildung an Idealen zu orientieren. Er berücksichtigte und förderte vor allem die innere Freiheit, die Freiheit des Herzens. Seine Mittel dazu waren: das Leben aus einem persönlichen Selbstkonzept, dem Persönlichen Ideal, die Harmonisierung der inneren Antriebskräfte, der Abbau der Ängste und Hemmungen aus der Kindheit, dem Umgang mit Grenzerfahrungen, der Förderung der Bindungserfahrungen an Orte, Personen, Rituale und Gott sowie die Zusammenschau von Bindung und Freiheit.

Kentenich legte schon bei seinen Schülern großen Wert auf die Selbstwirksamkeit. Erziehung heiße: „selbstlos fremdem Leben dienen!“ Der Erzieher leiste dem Schüler Hilfestellung, seinen Persönlichkeitskern zu entdecken, die persönliche Zielorientierung und Sinnperspektive zu finden. Es gehe um den originellen Gedanken, den Gott in jeden Menschen hineingelegt habe, den dieser kraftvoll aufnehmen und umsetzen wolle. Wenn alle Kräfte in einem Persönlichkeitskern wurzeln, wachse die persönliche Entscheidungs- und Handlungskompetenz, die Grundlage der menschlichen Freiheit, so Schlickmann. Kentenich habe zeitlebens reine Handlungsanweisungen, eine „Akte“-Pädagogik „Tu das, lass das!“ kritisiert, die weder mentalitätsbildend noch weiterführend seien. Das NS Regime habe deutlich gezeigt, wohin es führe, wenn Menschen bloßen Handlungsanweisungen folgten, ohne ihr Gewissen einzuschalten und Verantwortung zu übernehmen. Eichmann habe in seinem Prozess gesagt: „Ich musste doch das machen, was mir befohlen wurde!“ Kentenich habe sich um die Idealpädagogik bemüht, die dem Menschen helfe, aus seinem Inneren heraus zu handeln und Verantwortung zu übernehmen. Schon 1912 habe Kentenich seine Schüler im Studienheim angeleitet: Wir wollen uns selbst erziehen, uns nicht der Masse ausliefern, sondern die Zügel selbst in die Hand nehmen. Erziehung habe nach Kentenich den Sinn, die Selbstbildung, die Selbsterziehung in Gang zu setzen und die Selbstwirksamkeit zu entfalten. Das führe zu innerer Freiheit und Selbstvertrauen. Josef Kentenich: „Die Größe des modernen Menschen besteht heute darin, dem Diktat seiner Umgebung zu widerstehen.“

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