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23. Oktober 2021 | Deutschland | 

Bildung wozu? - Bindung und Werte


Kongress "Bildung wozu?" Einführungsvortrag  (Foto: Brehm)

Kongress "Bildung wozu?" Einführungsvortrag  (Foto: Brehm)

C&Hbre. Bildung ist ein Megathema der Zeit. Das wurde am ersten Vormittag des Kongresses „Bildung wozu?“, zu dem das Josef-Kentenich Institut in Zusammenarbeit mit der Katholischen Hochschule NRW (katho) und dem Campus für Theologie und Spiritualität Berlin (CTS) ins Pater-Kentenich-Haus in Schönstatt, Vallendar eingeladen hatte, deutlich. Der Kongress stellt sich der Verantwortung entgegen dem Trend nach wegen zu einer ganzheitlichen, personalen Bildung zu suchen. Im Folgenden einige knappe Zusammenfassungen der gehaltvollen Beiträge der Tagesreferenten.

Bildung wozu?

Frau Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing, Vorsitzende des deutschen Philologenverbandes, stellte gleich zu Beginn klar, dass sie nicht zu denen gehöre, die Bildung als Greifen nach höchsten Abschlüssen verstehen. Bildung sei für sie der Drang etwas verstehen zu wollen. Dies allein bewirke auch Veränderung im Menschen. „Bildung ist mein Lebensthema“, so die Referentin und sie belegte anhand prägender Lehrervorbilder ihres Lebens, welche Schlüsselrolle Lehrern im Bildungsgeschehen zukommt. Was einen guten Lehrer ausmache: kognitiv anspruchsvoll, Klarheit, Wertschätzung und Transparenz in seinen Rückmeldungen, sozial unterstützend, brennend für sein Fach: „Sie lebten, was sie lehrten!“

„Bildung ist mein Lebensthema“: Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing, Vorsitzende des deutschen Philologenverbandes (Foto: Brehm)

„Bildung ist mein Lebensthema“: Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing, Vorsitzende des deutschen Philologenverbandes (Foto: Brehm)

Die Kultusministerkonferenz (KMK) habe 2004 im Bildungsauftrag der Schulen formuliert, dass Schüler „zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern erzogen werden [sollten], die verantwortungsvoll, selbstkritisch und konstruktiv ihr berufliches und privates Lebens gestalten und am politischen und gesellschaftlichen Leben teilnehmen können.“ Sie allerdings wolle hier dazu fügen: „vermittelt durch Lehrkräfte, die fachliche und pädagogische Autoritäten sind.“ Um das erreichen zu können, brauche es allerding eine vorausschauendere Bedarfsplanung und Einstellung von Lehrern. Corona habe neu deutlich gemacht, dass eher eine vollumfängliche Betreuung stattfinde, denn eine Erziehung zu mündigen Persönlichkeiten.

Für ihren Doktorvater Wolfgang Klafki, Erziehungswissenschaftler, bedeute Bildung, ein selbsttätig erarbeiteter, persönlich verantworteter Zusammenhang dreier Grundfähigkeiten: der Fähigkeit zu zunehmender Selbstbestimmung, zu Mitbestimmung und Solidaritätsfähigkeit. Was Klafkis Wirken durchzogen habe, sei die gemeinsame Reflexion zwischen Schüler und Lehrer als durchgängiges Merkmal. Bei der OECD, die heute immer stärker auf die Situation der Schulbildung Einfluss nehme, fänden sich manche von Klafkis Forderungen wieder: Sie fordert die „21st century skills“ wie: Kritikfähigkeit, Kritikbereitschaft und Fähigkeit zur Selbstkritik des Schülers, die Fähigkeit zur Kommunikation und Argumentationsbereitschaft, die Sozialität/Empathie, sowie das vernetzte Denken und die Förderung des gemeinsamen Arbeitens.

Der Verband der Philologen setze sich heute dafür ein, dass die Persönlichkeitsentwicklung des Schülers – ein Grund für Bildung – nicht vernachlässigt werde. Sie geschehe vorwiegend durch die Fächer, Musik, Kunst, Ethik und Religion. Die vielen ausgefallenen Unterrichtsstunden durch Corona unterstützten Bestrebungen, diese Fächer zurückzustellen zugunsten der Kompetenzfächer Deutsch, Mathematik und Fremdsprachen. „Wir brauchen die Schule als Institution der Kulturüberlieferung“, so Prof. Dr. Lin-Klitzing, ein gutes kulturelles Angebot, eine vertiefte Allgemeinbildung, neben einer Bildung wozu auch die Frage nach einer Bildung wodurch. Hier komme die Stärkung der Lehrkräfte wieder ins Spiel, die mit ihrer fachlich pädagogischen Autorität überzeugen und denen es gelingt, die Schüler ganzheitlich zu bilden. „Gymnasiale Bildungsqualität bedeutet damals wie heute, unsere Schüler und Schülerinnen mit möglichst hohen Anforderungen im kognitiven wie im nicht-kognitiven Bereich zu ‚konfrontieren‘ und sie durch bestens ausgebildete Lehrkräfte in dieser Konfrontation nicht allein zu lassen, sondern zu stützen und zu stärken,“ so die Referentin.

Bindung und Bildung

Den Zusammenhang von Bindung und Bildung stellte Professor Dr. Alexander Trost, Katholische Hochschule Aachen, in seinem Beitrag dar. Schnell wurde deutlich: Bindung entwickelt das frühkindliche Gehirn, nicht Bildung. Ohne Bindung keine Bildung. Gesunde Bindungen schaffen Grundvoraussetzungen, damit Menschen gut mit sich und anderen in Kontakt sind, Affekte und Stress regulieren können, lern- und arbeitsfähig, beziehungs- und kooperationsfähig werden. Das Fenster für eine sichere Bindung, so Professor Trost sei ein Jahr lang offen, dann schließe es sich, wobei nicht ausgeschlossen sei, dass bei günstigen Bedingungen auch später noch neue Bindungserfahrungen möglich seien. Optimal sei es für das Kind, wenn es im ersten Jahr die Bindung an eine Bindungsperson entwickeln könne: seine „sichere Basis“. Die Betreuungsperson brauche Feinfühligkeit, die Signale des Kindes wahrzunehmen, richtig zu interpretieren, angemessen und prompt darauf zu reagieren. Beim Dasein zweier Personen werde das Kind sich für die Person entscheiden, die feinfühliger sei und seine Signale besser verstehe.

"Ohne Bindung keine Bildung": Professor Dr. Alexander Trost, Katholische Hochschule Aachen (Foto: Brehm)

"Ohne Bindung keine Bildung": Professor Dr. Alexander Trost, Katholische Hochschule Aachen (Foto: Brehm)

Resonanz und Spiegeln seien zwei wichtige Fähigkeiten, um die Selbstregulation des Kindes, die mit der Geburt beginne, zu fördern. Eine gelingende Selbstorganisation, Selbststeuerung und Sinngenerierung hänge eng mit der Entwicklung der Bindungen zusammen. Um mit der fremden Welt zurechtzukommen, brauche der Säugling eine sichere Basis, von der aus er die Umwelt erkunden und begreifen könne und in Zeiten von Stress um den sicheren Hafen wisse. Professor Trost wies auch auf die Unterschiedlichkeit der Vater-Kind-Beziehung im Vergleich zur Mutter-Kind-Beziehung hin. So interagiere der Vater z.B. mehr im Toben, im riskanten Spiel, im Beibringen von Kulturtechniken.

Über sichere Bindungen entstehe das Urvertrauen im Kind, das Vertrauen in sich selbst, in ein Du und in ein Wir – in das Ganze, in die Existenz. Wenn es gelänge, mehr bindungsfähige Menschen zu erziehen, könnten die derzeitigen Herausforderungen und Probleme der Menschheit auch besser angepackt werden. So gesehen fange Bildung pränatal an.

Angebot eines Lehr- und Erziehungskonzeptes katholischer Schulen in Lateinamerika

Mit Pater Raúl Espina, Mitglied der Schönstatt-Patres und Verantwortlicher für das Sion-Institut für Formation und Forschung, Vallendar-Schönstatt, kamen unter dem Thema „Bindungs- und Werteorientierung: Fundament eines alternativen Schulkonzepts“ Erfahrungen und Reflexionen ins Wort, die die Gemeinschaft der Schönstatt-Patres in den vergangenen 30 Jahren im von ihrer Gemeinschaft verantworteten Schulbereich in Chile, Equador, Spanien und Portugal gemacht habe. Pater Espina, der maßgeblich mitverantwortlich war für eine Netzwerk-Zusammenarbeit dieser Schulen mit insgesamt etwa 7.000 Schülern, war selbst Rektor einer Schule mit 1.800 Schülerinnen und Schülern. Schule in diesem Zusammenhang betreffe immer den Zeitraum vom Kindergarten über die Grundschule bis zum Gymnasium. Katholische Schulen hätten vor allem in Lateinamerika eine große Tradition.

"Schule steht im Dienst des persönlichen Lebensentwurfs junger Menschen": Pater Raúl Espina, Verantwortlicher für das Sion-Institut für Formation und Forschung, Vallendar-Schönstatt (Foto: Brehm)

"Schule steht im Dienst des persönlichen Lebensentwurfs junger Menschen": Pater Raúl Espina, Verantwortlicher für das Sion-Institut für Formation und Forschung, Vallendar-Schönstatt (Foto: Brehm)

Pater Espina formulierte acht Thesen, die einerseits Zusammenfassung eines gegangenen Weges, aber auch offen und dialogfähig den stets wechselnden gesellschaftlichen Verhältnissen gegenüber und insofern auch Inspiration für heutiges Tun seien.

So stehe Schule erstens im Dienst des persönlichen Lebensentwurfs der jungen Menschen, damit diese frei auf die Berufung antworten können, die Gott ihnen gibt. Auf diese Weise wolle Schule zur Suche nach dem Sinn des Lebens beitragen. Zweitens sei Schule ein Erziehungsfeld für den Dialog. Dadurch wolle sie befähigen und beitragen zum Gespräch zwischen Glaube und Kultur. Schule wolle drittens einen Raum der Zugehörigkeit, der Sicherheit, der Begegnung und des Wachstums bieten und zeichne sich deshalb durch einen gemeinschaftlichen und familiären Geist aus. Viertens wolle Schule eine qualitativ hochwertige Bildung für die ganzheitliche Entwicklung der Schülerinnen und Schüler bieten.

Die Förderung der Spiritualität, die auf der Freundschaft Gottes zum Menschen und auf dessen freier Antwort basiert, sowie eine Spiritualität des täglichen Lebens und der Innerlichkeit umfasst die fünfte These. Schule berücksichtige sechstens die Vielfalt der Lernenden durch Lebensorientierung, Prozessorientierung und Praxisorientierung, mit einer ganzheitlichen Sicht und in christlichen Werten verwurzelt. Damit werde eine Art des Lernens artikuliert, die vom pädagogischen Ansatz Josef Kentenichs aus konzipiert sei. Schule sei siebtens offen für Veränderungs- und Innovationsprozesse, wobei alle Innovationen „dem Leben nahe sein, das Leben fördern, Charakter formen und ein Zuhause schaffen“ sollen. Schließlich werde für die Schule eine Kentenich-inspirierte Organisation und Leitung zugrunde gelegt, bei der die aktive Teilnahme aller Mitglieder und die zentrale Stellung der Person sowie eine begleitende Verantwortlichkeit der Leitung ausdrücklich betont werde.

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