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30. September 2021 | Deutschland | 

Selbstbestimmt leben aber Selbstbestimmung nicht verabsolutieren - Abendtalk mit Pater Elmar Busse


Turmbau zu Babel, Pieter Bruegel d.Ä., um 1563, Öl auf Holz, Museum Boymans-van Beuningen (Foto: zeno.org, gemeinfrei)

Turmbau zu Babel, Pieter Bruegel d.Ä., um 1563, Öl auf Holz, Museum Boymans-van Beuningen (Foto: zeno.org, gemeinfrei)

H&Cbre. Im Rahmen des „Abendtalk“, einer viermal im Jahr stattfindenden Veranstaltung in den Räumen des Schönstatt-Verlages zu aktuellen Zeitfragen, referierte Pater Elmar Busse zum Thema „Turmbau zu Babel 2021 – Der unaufhaltsame Aufschwung des Wertes Selbstbestimmung“. Der Referent der von schoenstatt-tv ins Internet übertragenen Veranstaltung befasste sich mit Fragen zu einem wichtigen und wertvollen Wert, der – wenn er verabsolutiert wird – zum Hochmut führen kann.

Der Turm zu Babel

Der Ehrgeiz von Architekten und Bauherren, die oftmals auch politische Herrscher waren, ziehe sich durch die Jahrhunderte, so Busse, nachdem er bei den Zuhörern zunächst das derzeit höchste Bauwerk der Welt, den "Burj Khalifa" in Dubai, einen Wolkenkratzer mit einer Gesamthöhe von 829,8 Meter und einer Fülle von Superlativen, in Erinnerung gerufen hatte. Der älteste Bericht über derartigen Ehrgeiz fände sich im Alten Testament in Gen 11 vom Turmbau zu Babel mit dem Motiv: „Wir wollen uns einen Namen machen.“ (Gen 11,4) Ein Turm, der ab 680 vor Christus nach seiner Zerstörung wieder aufgebaut wurde, also deutlich älter sein musste. Der deutsche Archäologe Robert Koldewey (* 1855 † 1925) habe möglicherweise 1913 die Überreste dieses Turms von Babel gefunden, ein gestufter Tempelturm mit etwa 90 mal 90 Meter Grundfläche, mit acht Stockwerken über eine Höhe von etwa 90 Meter, dessen Fundamente er in Babylon freigelegt habe. Solche Bauwerke seien zu allen Zeiten Symbole für Macht und Ausdruck gesellschaftlicher Einflussnahme, aber auch ein Ausdruck des Hochmutes gewesen.

Pater Elmar Busse,  Fachbereichsleiter Spiritualität in der Katharina Kasper Stiftung, Dernbach (Foto: Brehm, Archivfoto)

Pater Elmar Busse,  Fachbereichsleiter Spiritualität in der Katharina Kasper Stiftung, Dernbach (Foto: Brehm, Archivfoto)

Wertevermittlung als Voraussetzungen für ein friedliches Miteinander

Doch Voraussetzungen für ein friedliches Miteinander seien politische Stabilität, eine niedrige Korruptionsrate, Planungssicherheit, ein hohes Maß an zivilgesellschaftlichem Engagement und Möglichkeiten der gesellschaftlichen Einflussnahme, gerechte Verteilung des erwirtschafteten Wohlstandes, ein hohes Bildungsniveau und ein flächendeckendes Gesundheitswesen. Um das zu erreichen, brauche es allerdings Werte, die im einzelnen Menschen und dessen Überzeugungen verankert sein müssten und die ein Staat nicht aus sich heraus garantieren könne. Bei dieser Wertevermittlung seien vor allem die Religionen gefragt, die allen Menschen die Gottebenbildlichkeit zusprechen und damit eine integrative Werte-Dynamik und ein solidarisches Miteinander entwickeln helfen können.

Spannungsprinzip: die Balance zwischen den polaren Werten austarieren

Im Blick auf die Werte sei festzustellen, so Busse, dass diese immer als polare Wertepaare vorkämen. Pater Kentenich, der Gründer der Schönstatt-Bewegung spreche hier vom Spannungsprinzip, das die ganze Schöpfung durchziehe. Die Kunst bestehe darin, immer wieder neu die Balance zwischen diesen polaren Werten auszutarieren. Pater Busse nannte einige Beispiele: Sparsamkeit und Großzügigkeit seien beides Werte. Sparsamkeit ohne Großzügigkeit verkomme aber zu Geiz. Kritik und ehrliche Konfrontation seien notwendig für das Zusammenleben. Kritik ohne Wertschätzung würde zur ewigen Nörgelei oder massivem Mobbing führen. Zielstrebigkeit sowie Flexibilität und Improvisationskunst brauche jede Firma. Doch Zielstrebigkeit ohne Flexibilität verkomme zur Sturheit; während Improvisationskunst allein ins absolute Chaos führen könne. Ganz aktuell derzeit: Eingehen auf die Wünsche anderer ist für das Zusammenleben genauso wichtig wie das Einbringen und Durchsetzen der eigenen Anliegen. Und der Wert „Selbstbestimmung“? Welcher polare Wert gehöre wohl dazu?

Plakat zum Abendtalk im Dezember 2021 (Grafik: Brehm)

Plakat zum Abendtalk im Dezember 2021. Thema: "Das Böse schreit lauter, aber das Gute kommt häufiger vor - Den Goldgräberblick schulen" (Grafik: Brehm)

„Selbstbestimmt“ und „gottgewollt“ sind kein Gegensatz

Bevor Busse darauf antwortet, zeigt er anhand von Themen wie Abtreibung, Wahl des Geschlechtes und ärztlich assistierter Suizid auf, dass der Wert Selbstbestimmung nicht absolut gesetzt werden darf, sondern an seine Grenzen stößt, wenn andere Werte dadurch bedroht werden. Doch innerhalb der Grenzen, die durch die Biologie, die Natur des Menschen und das Lebensrecht anderer Menschen vorgegeben wären, sei Selbstbestimmung ein Wert, für den Pater Kentenich sich immer wieder eingesetzt habe. Dabei habe er sein ganzes pädagogisches Geschick eingesetzt, um den einzelnen zu ermutigen, sich nicht hinter einer tatsächlichen oder vermuteten Mehrheit zu verstecken, nicht im unverbindlichen „man“ stecken zu bleiben, sondern deutlich und selbstbewusst „ich“ sagen zu lernen. Es liege im Willen des Schöpfergottes, dass Menschen das, was Gott keimhaft in sie hineingelegt habe, zur Entfaltung brächten. Das Gleichnis Jesu von den Talenten sei in diesem Zusammenhang für Kentenich Schlüsseltext. „Selbstbestimmt“ und „gottgewollt“ sei für den Schönstatt-Gründer niemals ein Gegensatz, oder Widerspruch gewesen.

Das Persönliche Ideal kann zum selbstbestimmten Leben führen

Unter seinen vielen pädagogischen Anregungen sei die Lehre vom Persönlichen Ideal (die Idee, die Gott vom Menschen hat, die der Mensch für sich herausfinden und danach leben darf) der Kernvorgang, der den Menschen anleite, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Selbstbestimmung nicht verabsolutieren

Doch wie leicht passiere es, so Busse, den Wert „Selbstbestimmung“ zu verabsolutieren und damit dem Hochmut zu verfallen, wie er in der Geschichte vom Turmbau zu Babel beschrieben werde. Nach den alten Wüstenvätern zu urteilen, sei der Hochmut eines der Hauptlaster der Menschen. Als Warnung vor der Verabsolutierung des Wertes Selbstbestimmung kenne die Kirche die Tugend der Demut und in den Orden das Gelübde des Gehorsams. Leider müsse allerdings auch festgestellt werden, dass manche sogenannte Erziehung zur Demut den Menschen eher das Rückgrat gebrochen habe und statt echter Demut eher Minderwertigkeitsgefühle gefördert worden seien.

„Lieben Sie also die von Gott, dem Schöpfer in Sie hineingelegte Möglichkeit der Selbstbestimmung“, so Pater Busse abschließend, „und seien Sie selbstkritisch genug, um einer Verabsolutierung dieses Wertes gegensteuern zu können!“

Nach einer Austauschrunde in Kleingruppen und einem kleinen Abendlob endete die Veranstaltung für die Teilnehmenden. „Es ist doch immer wieder lohnend, sich mit Fragen der Zeit auseinanderzusetzen“, meinte ein Teilnehmer, „neue Erkenntnisse und neue Dimensionen gehen einem dabei auf und die Möglichkeit zum Austausch gibt Hoffnung und Ermutigung.“


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