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4. August 2021 | Deutschland | 

Schönstätter Marienschwestern beim Hilfseinsatz im Katastrophengebiet Ahrweiler


Schönstätter Marienschwestern helfen mit im Zelt "Kirche hilft" der Pfarreiengemeinschaft Bad-Neuenahr-Ahrweiler (Foto: s-ms.org)

Schönstätter Marienschwestern helfen mit im Zelt "Kirche hilft" der Pfarreiengemeinschaft Bad-Neuenahr-Ahrweiler (Foto: s-ms.org)

Hbre. „Die Schwestern hat uns der Himmel geschickt“, sagt Johanna Becker, Pastoralassistentin für Schul- und Jugendpastoral im Dekanat Ahr-Eifel. Seit etwa zwei Wochen sind Schönstätter Marienschwestern täglich mehrere Stunden im Helfereinsatz am Standort „Kirche hilft“ – dem Hilfszelt der Pfarreiengemeinschaft Bad Neuenahr-Ahrweiler. „Neben der Ausgabe von Wasser, Lebensmitteln und Gegenständen des täglichen Bedarfs, wird es mit jedem Tag wichtiger, für die Menschen einfach ein offenes Ohr in der Not zu haben und in der Verarbeitung des Traumas Begleitung anzubieten“, so Becker weiter.

"Praktische Hilfe wird gebraucht, ja, aber auch noch viel mehr: ein aufmunterndes Wort, ein interessiertes Nachfragen, das gemeinsame Schweigen und jemand, der einfach zuhört, wenn die Menschen erzählen möchten, wie stark sie betroffen sind."  (Foto: s-ms.org)"Praktische Hilfe wird gebraucht, ja, aber auch noch viel mehr: ein aufmunterndes Wort, ein interessiertes Nachfragen, das gemeinsame Schweigen und jemand, der einfach zuhört, wenn die Menschen erzählen möchten, wie stark sie betroffen sind."  (Foto: s-ms.org)

Unterstützung für das Zelt „Kirche hilft“

Seit zwei Wochen sind täglich zwei Marienschwestern im Einsatz in Ahrweiler. Sie unterstützen den Helfer-Standort der Pfarrei St. Laurentius, die mit einem Zelt „Kirche hilft“ von Anfang an im Einsatz ist. Es wird ein Schichtdienst mit vielen weiteren freiwilligen Helfern und einem Koordinator vor Ort aufgebaut. „Kurz nach der verheerenden Flutkatastrophe in verschiedenen Orten von NRW und Rheinland-Pfalz hat uns in Schönstatt über die Kirchengemeinde St. Laurentius, Ahrweiler, die Anfrage erreicht, ob es Kapazitäten zu helfen gäbe“, erzählt Sr. M. Anrika Dold, die inzwischen zweimal in Ahrweiler zum Helfen mit vor Ort war. „Die Anfrage, die uns Schönstätter Marienschwestern erreicht hat, hat genau die Frage getroffen, die sich unter uns schon viele gestellt haben: Was können wir tun, wie können wir helfen?“ Der Pfarrer der Gemeinde St. Laurentius, Pfr. Jörg Meurer, schreibt am 19. Juli auf Facebook: „…Es wird organisierter, das tut allen gut. Unser Zelt ‚Kirche hilft‘ läuft, auch Dank der Präsenz der Schönstätter Schwestern …“ Inzwischen gibt es eine Bescheinigung von ihm, damit die täglich wechselnden Zweier-Teams der Schwestern mit Berechtigung in den Ort fahren können.

Die Welle der Solidarität muss koordiniert werden

„Ursprünglich ist das Hilfe-Zelt vor allem für Gespräche gedacht – als ‚Auffangort‘ der Begegnung und der Zuflucht. Doch in den ersten Tagen zeigt sich, dass vor allem auch praktische Hilfe und Versorgung nötig ist“ erzählt Sr. M. Anrika Dold. „Den Menschen fehlt in den ersten Tagen das Allernötigste. Und so entwickelt sich der Standort schnell zu einem Zelt für Sachspenden aller Art, die angenommen, sortiert und an die Menschen verteilt werden.“ Täglich seien große und kleine Lieferungen von überall her angekommen. „Sprinter werden in ganz Deutschland vollgeladen und einfach hergefahren; der Rotaryclub bringt Sachen vorbei; die Telekom verschenkt Handys und Powerbanks für die Leute, und ein paar Männer vom Motorradclub vor Ort fahren jeden Tag Getränke und vieles mehr an – die Welle der Solidarität ist unglaublich!“, so die Schwester aus der Schönstatt-Bewegung. In dieser Situation sei es gut gewesen, dass neben den vielen Helfern und Helferinnen sich Herr R. gefunden habe, der die Koordination in die Hand genommen und den Überblick behalten habe. „Neben Grundnahrungsmitteln, Hygieneartikel, Handtücher, Gummistiefel und vielem mehr, was ständig benötigt wird, weiß er auch, was aktuell besonders Mangelware ist – und wo er es herbekommt. Schaufeln, Besen und Eimer zum Beispiel. Oder Wäscheklammern. Auch nach Waschmittel wird zunehmend gefragt – weil an manchen Orten wieder gewaschen werden kann. Viele Gaskocher und Gasflaschen werden gebraucht. Und auch Taschenlampen werden zum Luxusartikel, die nur einzeln herausgegeben werden.“

Auch viele kirchliche Gebäude sind von der Flut direkt betroffen (Foto: s-ms.org)

Auch viele kirchliche Gebäude sind von der Flut direkt betroffen (Foto: s-ms.org)

Ergänzung zur praktische Hilfe notwendig

Es ist viel Betrieb, ob unter der Woche oder am Wochenende – und die Menschen sind einfach nur dankbar für alles, was sie in diesem Zelt bekommen, so berichten die Schwestern, wenn sie am Abend nach Schönstatt zurückkehren, „was in dieser Nacht vom 15. Juli mit ihnen und ihrem Haus passiert ist, wie es war, als das Wasser so schnell kam, dass nicht mal mehr Zeit blieb, die nötigsten Dokumente zu sichern“, so Schwester Anrika.

Schweres und Schönes ganz nahe beieinander

Und sie berichtet weiter: „Das Schwere und das Schöne – es wird hier besonders intensiv erlebt. Und es ist so nahe beieinander. Ein Ehepaar steht z.B. im Zelt, sieht sich um, fast fragend, will einfach nur schauen, was es alles gibt. Möchte einen Atemzug ‚Normalität‘ abholen. Sicherheit. Ruhe. Und es scheint, als müssten sie sich im ‚normalen Leben‘ erst wieder zurechtfinden. Zu unwirklich ist alles, was sie erlebt haben – und doch ist es schreckliche Realität. Die ganze Nacht haben sie auf dem Dach ihres Hauses ausgeharrt, als die Flut kam. Am nächsten Tag sind sie wie abgeschnitten, es gibt keine Hilfe, niemand kommt. Sie haben ein Knäckebrot zu essen, sonst nichts. Diese Nacht sitzt ihnen spürbar in den Knochen. ‚Aber man gewöhnt sich auch schnell daran, in einem Haus zu leben, das voller Schlamm ist …‘, erzählt der Mann. Die Frau berichtet, dass sie das Haus retten können, aber es wird lange dauern, bis alles wiederhergestellt ist. ‚Es geht uns gut, andere haben viel mehr verloren, haben Tote zu beklagen, wir müssen dankbar sein.‘

Ein anderer Mann mittleren Alters, der als Altenpfleger arbeitet, berichtet, dass er schon viel erlebt habe, auch viel Schweres, aber das sei alles ‚Kindergarten‘ gewesen, gegen diese Jahrhundertflut. Das seien Bilder und vor allem auch Geräusche, die er wohl nie wieder loswerden würde: ‚Das tosende Geräusch, als das Wasser kam – das hör ich immer noch. Und dann die Hilferufe in der stockdunklen Nacht. Und einfach nicht helfen können. Bis die Rufe verstummen.‘ Er schweigt wieder. Und seine Augen verlieren sich in der Ferne.“

Die Pilgernde Gottesmutter ist im Hilfe-Zelt mit dabei (Foto: s-ms.org)

Die Pilgernde Gottesmutter ist im Hilfe-Zelt mit dabei (Foto: s-ms.org)

Mit Plakaten lädt die Pfarreiengemeinschaft zu kurzen Besinnungen ein (Foto: s-ms.org)

Mit Plakaten lädt die Pfarreiengemeinschaft zu kurzen Besinnungen ein (Foto: s-ms.org)

Welle der Hilfsbereitschaft

Gleichzeitig, so betont Schwester Anrika, sei es beeindruckend, was für ein riesiges Hilfsangebot sich jeden Tag neu bietet. „Eine Gruppe junger Syrer kommt z.B. ins Zelt. Sie fahren jeden Morgen um 4 Uhr los, um hier in Ahrweiler beim Wiederaufbau mitzuhelfen. Einer der jungen Männer erklärt in gebrochenem Deutsch, dass dieses Land ihn geschützt und aufgenommen habe und er jetzt etwas zurückgeben möchte.

Oder eine ältere Dame berichtet, wie großartig der Einsatz der jungen Leute hier in Ahrweiler sei: Sie hätten ein Weingut und bräuchten jetzt so viel Hilfe. Jede einzelne Weinflasche im Keller müsste gesäubert werden. Und jeden Tag käme ein Hilfstrupp von 20 bis 25 junger Leute bei ihnen an: ‚Sie kommen als Fremde, kennen sich gegenseitig nicht, und gehen als Freunde. Es ist so schön, das zu erleben.‘

Und ein Mann vom THW, der nach seiner Arbeitszeit immer noch ehrenamtlich weitermacht, berichtet, wie ihn eine Gruppe Frauen zwischen 57 und 85 Jahren vom betreuten Wohnen nach Topfpflanzen gefragt hat. Er bringt ihnen welche und erfährt, dass sie gemeinsam die Aktion „Ahrweiler verschönern“ gestartet haben. Sie legen kleine Oasen an, mitten in verschlammten Straßen, pflanzen Blumen, lassen kleine Gärten entstehen und bemalen auch Leintücherzuschnitte mit bunten Blumen – oder pinseln einen schönen Spruch darauf. ‚Ahrweiler verschönern, das ist das, was sie tun können – sie haben ja nicht viele Ressourcen, aber sie bringen sich ein, wie es geht und die kleinen Blumenpflanzungen werden zu Orten, die leuchten‘, so der anerkennende Kommentar des THW-Mannes. – Was für ein Geschenk, wie Menschen hier und jetzt kreativ werden und etwas tun, das leuchtet“, so Schwester Anrika, die sich durch solche Erfahrungen selbst beschenkt erfährt.

Anhalten zwischen Aufräumen und Weiterleben

„Hilfe wird noch länger notwendig sein“, sagt Pastoralassistentin Johanna Becker. „Doch diese Hilfe wird sich an die Gegebenheiten anpassen müssen.“ So ist daran gedacht das Hilfe-Zelt näher zur Kirche und zum Pfarrhaus zu verlegen. „Natürlich müssen auch wir als Kirche unsere Gebäude entschlammen. Doch wollen wir den Menschen vor allem auch Besinnungs- und Verarbeitungsmöglichkeiten anbieten, z. B. in den Sonntagsgottesdiensten oder mit dem Angebot ‚Anhalten zwischen Aufräumen und Weiterleben‘.“ Gerade dann, wenn Menschen deutlich machen, dass Beten im Moment schwierig ist, sei es gut, weitergeben zu können oder auch nur zu wissen, „dass da viele andere sich stellvertretend für die Opfer der Flutkatastrophe und für die von den Folgen betroffenen Menschen im Gebet an Gott wenden“, so Becker dankbar.


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