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7. Oktober 2020 | Kommentar der Woche | 

Wolfgang Ipolt - Weg der Einheit


(Foto: pixabay.com)

Kommentar der Woche: Weg der Einheit

Bischof Wolfgang Ipolt, Görlitz (Foto: basis-online.net)

Bischof Wolfgang Ipolt, Görlitz (Foto: basis-online.net)

07.10.2020

Wolfgang Ipolt

Weg der Einheit

Heute – am 7. Oktober 2020 – wäre die DDR 71 Jahre alt geworden. Wie froh bin ich, dass ich das im Konjunktiv schreiben darf – wäre…!

Die vergangenen Tage sind geprägt vom Gedenken an die wieder errungene Einheit unserer Nation, die am 3. Oktober 1990 besiegelt wurde. Ich erinnere mich: Ich war an diesem Tag in Rom und nahm in meiner Eigenschaft als Subregens des Erfurter Priesterseminars als Auditor an der Weltbischofssynode teil, die sich mit der Ausbildung der Priester beschäftigte. In der Nacht vom 2. zum 3. Oktober haben wir mit einem Mitbruder aus Westdeutschland auf der Dachterrasse des Germanicum mit einer Flasche Sekt auf dieses Ereignis angestoßen. Am nächsten Morgen begrüßte der Papst in der Synodenaula die Versammelten mit „Guten Morgen!“ und jeder verstand, warum er an diesem Tag diesen weniger frommen deutschen Gruß verwendete. Anschließend gratulierte der Sekretär der Synode den Deutschen zur Vereinigung ihres Vaterlandes. Sofort entbrannte ein großer Applaus mit stehenden Ovationen. Es war, als ob die ganze Welt sich mitfreute über dieses von uns so lange erhoffte Ereignis.

Ich habe in diesem Jahr etwas getan, was ich nie vorher tun wollte: Ich bin Ende September aus der DDR nach Rom gefahren und Ende Oktober nicht mehr dorthin zurückgekehrt – denn diesen Staat gab es dann nicht mehr. Nur noch mein Pass erinnerte mich an dieses Land, in dem ich bis dahin gelebt hatte.

Heute, 30 Jahre später bin ich immer noch dankbar, dass ich das miterleben und mitgestalten durfte. Bis zum 3. Oktober 1990 haben wir die Zeit oft eingeteilt in „vor dem 2. Weltkrieg“ und “nach dem 2. Weltkrieg“. Jetzt ist diese Zeiteinteilung zunehmend einer anderen gewichen – zumindest bei den meisten Ostdeutschen – „vor der Wende“ und „nach der Wende“ lautet sie jetzt oft. Das ist eher eine gefühlte Einteilung, die aber einen tiefen Sitz im Leben hat. Da schwingen viele Erfahrungen und Erlebnisse, auch manches Erlittene mit – nicht zuletzt die Ereignisse der Jahre 1989 und 1990.

Bis heute sehe ich die friedliche Revolution ohne Blutvergießen als ein Wunder an, in dem ich einmal mehr die Hand Gottes in der Geschichte entdecken kann. Ich möchte darum die Mahnung nicht vergessen, die Mose dem Volk Israel im Buch Deuteronomium ans Herz legt: „Wenn der Herr, dein Gott, dich in ein prächtiges Land führt… ein Land, in dem du nicht armselig dein Brot essen musst, in dem es dir an nichts fehlt… dann nimm dich in Acht und vergiss den Herrn, deinen Gott nicht.“ (vgl. Dtn 8, 7 ff.) Das muss wohl unserem ganzen Volk heute zugerufen werden: „Vergiss den Herrn, deinen Gott nicht. Er ist es, der dir Kraft gibt.“ (Dtn 8, 10.18). So könnte die neue Evangelisierung beginnen – die Gottvergessenheit zu einem Leben in seiner Gegenwart verwandeln.

Bischof Wolfgang Ipolt
Görlitz


Quelle: www.basis-online.net
Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung


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