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5. November 2019 | Deutschland | 

Versöhnen, verstehen, Verantwortung übernehmen


Bei dem Gedenkbildstock der Schönstatt-Bewegung hatten sich die Pilger zur religiösen Andacht versammelt. (Foto: Fred Rautenberg)

Bei dem Gedenkbildstock der Schönstatt-Bewegung hatten sich die Pilger der Gebetswanderung entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze zur religiösen Andacht versammelt. (Foto: Fred Rautenberg)

Fred Rautenberg. Sie kennen sich oft erst seit wenigen Tagen. Aber sie sind einander in einer Herzlichkeit zugetan, die erstaunen lässt. Ganz von ihrem christlichen Glauben sind sie durchdrungen, von einer Gleichgestimmtheit ihrer Überzeugungen. Aber – und das ist nicht unbedingt alltäglich – dieser Glaube ist zugleich verbunden mit einer Liebe für unser Land und mit Dank für alles, was dieses Land seinen Bürgern schenkt. An oberster Stelle aber steht der Dank an den Herrgott, der nach ihrem Verständnis das Wunder der deutschen Wiedervereinigung herbeigeführt hat. So kann man knapp die Gruppe von 33 Pilgern aus ganz Deutschland (einige sogar aus Afrika und Südamerika) beschreiben, die am Freitag von Sülzfeld hinauf zur Schanz bei EUSSENHAUSEN gekommen waren.

Lichter zur Erinnerung an die friedliche Revolution

Ein Licht hatten sie vor sich hergetragen, Zeichen und Erinnerung an die friedliche Revolution in der damaligen DDR. Auch damals waren die Protestierenden mit brennenden Kerzen auf die Straße gegangen. Damit hatte die Gruppe eine weitere Etappe zurückgelegt auf ihrer Gebetswanderung von Hof bis hinauf zum Brocken im Harz, an dem ehemaligen DDR-Todesstreifen entlang.

Eberhard Wiedersheim (linkes Bild) ist der Senior der Pilgergruppe. Er hatte für einige Zeit das Amt des Lichtträgers übernommen. Dieser ging immer der Pilgerschar voran (Foto: Fred Rautenberg)

Eberhard Wiedersheim (linkes Bild) war der Senior der Pilgergruppe auf diesem Wegabschnitt der Gebetswanderung. Er hatte für einige Zeit das Amt des Lichtträgers übernommen. Dieser ging immer der Pilgerschar voran. Im Hintergrund der Bildstock, den eine Familiengruppe aus der Schönstatt-Bewegung vor 30 Jahren errichtet hatte (Foto: Fred Rautenberg)

Wenn sie dort am 8. November eintrifft, wird zu ihnen ei ne zweite Pilgergruppe dazustoßen, die dann eine ganz ähnliche Gebets-Wanderschaft an der damaligen innerdeutschen Grenze von Lübeck aus zurückgelegt hat. Einen Tag später feiern dann alle Teilnehmer einen großen Abschlussgottesdienst in der St.-Sylvestri-Kirche in Wernigerode am Harz.

„Vom Todesstreifen zur Lebenslinie“

„Pilgerwanderung“ haben es die Organisatoren genannt, mit dem Untertitel „Vom Todesstreifen zur Lebenslinie“. Seit dem 3. Oktober sind die frommen Wanderer unterwegs, um in den beiden Jubiläumsjahren 2019 und 2020 der Grenzöffnung vor 30 Jahren und der deutschen Wiedervereinigung vor 29 Jahren zu gedenken und Gott dafür zu danken. Dazu hatte sich als Veranstalter eine „Projektgruppe 3. Oktober. Gott sei Dank – 30 Jahre Wunder der Freiheit und Einheit“ gegründet. Diese Initiative hat breite öffentliche Unterstützung gefunden, unter anderem durch die Schirmherrschaften des Bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Markus Söder, des Ministerpräsidenten aus Thüringen Bodo Ramelow und des Bundesinnenministers Horst Seehofer.

Der Begegnung mit anderen Menschen und mit Gott soll die „Gebetswanderung“ gleichermaßen dienen, der Vernetzung, dem Gedankenaustausch und der Erfahrung von Religiosität, wie sie andere Menschen leben. „Versöhnen, verstehen, Verantwortung übernehmen“, das sind die Prinzipien, nach denen die immer noch vorhandene Kluft zwischen den Bürgern rechts und links des ehemaligen Eisernen Vorhangs überwunden werden soll.

Zehn zumeist evangelisch ausgerichtete Organisationen hatten zu dieser Pilgerreise aufgerufen. Diese wechseln sich bei der Durchführung der einzelnen Streckenabschnitte ab. Das sind jeweils zwischen 15 und 25 km lange Tagesetappen. Sie wechseln bewusst hin und her über die ehemalige Zonengrenze. Jeder, der Lust dazu hat, kann sich für eine oder mehrere Etappen anschließen.

Die Gruppe, die jetzt auf der Schanz und wenig später in Mellrichstadt gelandet war, wurde von Suse Chmell von der Organisation „Jugend mit einer Mission“ angeführt. Johanna Clement und ihrem Mann Manfred aus Stockheim war es zu verdanken, dass Chmell auf die Gedenkstätte auf der Schanz aufmerksam gemacht worden war. Sie und ihre Mitwanderer bereuten den Weg hinauf zum ehemaligen Grenzübergang nicht. Denn dort empfing sie Kurt Herbert aus Eußenhausen und erklärte ihnen die Goldene Brücke und die vielen seit der Wiedervereinigung entstandenen Stelen und Skulpturen.

Mit einer gemeinsamen Aussprache nach dem Abendessen klang der Tag für die Pilger aus (Foto: Fred Rautenberg)

Mit einer gemeinsamen Aussprache nach dem Abendessen klang der Tag für die Pilger aus (Foto: Fred Rautenberg)

Feier am „Schönstatt-Bildstock“

An diese Führung schloss sich eine religiös geprägte Gedenkandacht an, mit Liedern, Gebeten und mit meditativen Gedanken zu unserer so vielfach bedrohten Welt und zu der Aufgabe, sie für kommende Generationen menschenwürdig zu erhalten. Dies gestalteten Suse Chmell und die Gottesdienstbeauftragte Cornelia Knüttel aus Brend gemeinsam.

Die Andacht fand unmittelbar bei dem Bildstock statt, der am 6. Oktober 1991 von der katholischen Schönstattfamilie aus der Rhön und aus dem Eichfeld zur Erinnerung an die Wiedervereinigung errichtet worden war. Manfred Clement war selbst bei der damaligen Einweihungsfeier dabei gewesen. "Wir haben hier eine Familiengruppe, die seit 40 Jahren besteht und wir haben schon vieles gemeinsam auf die Wege gebracht", berichten Johanna und Manfred Clement. "So haben wir vor 30 Jahren den Bildstock errichtet zum Dank für die Einheit und auch viele Veranstaltungen zu diesem Thema organisiert. Für uns war diese Begegnung mit den Gebetswanderern eine ganz eigene wertvolle Erfahrung, für die wir sehr dankbar sind."

Damit war aber der Wandertag für die Pilger noch nicht beendet. Denn es ging weiter bis nach Mellrichstadt, wo sie Quartier bezogen. Das wurde im katholischen Pfarrsaal eingerichtet. Die Clements und etliche Helfer hatten dafür gesorgt, dass den Wanderern ein handfestes Abendessen angeboten wurde.

Nach dem Essen bildeten die Pilger einen großen Sitzkreis, um untereinander ihre Erinnerungen und Erfahrungen auszutauschen. Eine kleine Gruppe von Mitgepilgerten verabschiedete sich in einer Zeremonie, die erkennen ließ, wie nah sich diese und die Bleibenden in der kurzen Zeit gekommen waren.

Kurt Herbert (li.) war der Zeitzeuge aus den Wendetagen, um dessen Erzählung die Pilger gebeten hatten. Und der ehemalige Ortsteilsprecher von Eußenhausen wusste einiges zu erzählen (Foto: Fred Rautenberg)

Kurt Herbert (li.) war der Zeitzeuge aus den Wendetagen, um dessen Erzählung die Pilger gebeten hatten. Und der ehemalige Ortsteilsprecher von Eußenhausen wusste einiges zu erzählen (Foto: Fred Rautenberg)

Zeitzeugen erzählen von den Wendetagen

Zum Programm des Tages gehörte auch, was ein Zeitzeuge aus den Wendetagen zu erzählen wusste. Mit Kurt Herbert hätten sie keinen Besseren finden können. Denn der Eußenhäuser hatte die Tage der Grenzöffnung mit ihrer Euphorie, mit ihren Belastungen und auch mit ihren teilweise unschönen Begleiterschei- nungen hautnah erlebt. Herbert wusste fesselnd und mit viel Humor zu erzählen. Suse Chmell dankte ihm dafür wie auch den anderen Helfern von der Mellrichstädter Pfarrfamilie, die ihnen die Übernachtung im Pfarrsaal ermöglicht hatten.

Die Pilger waren sehr anspruchslos, was Schlafkomfort betraf: Eine Iso-Matte am Fußboden und eine Decke genügten ihnen, um Kräfte für die nächste Etappe auf ihrer Wanderung zu sammeln. Die führte sie zunächst mit dem Streutalbus bis Fladungen und dann, auf Schusters Rappen, nach Hilders in Hessen.

Quelle: Streutal-Journal - mit freundlicher Genehmigung

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