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18. Dezember 2015 | Worte des Bewegungsleiters | 

Jahr der Barmherzigkeit – die offene Tür


Jubiläumsmotiv 2015 der Schönstatt-Bewegung in Deutschland (Grafik: Kiess)

Jubiläumsmotiv 2015 der Schönstatt-Bewegung in Deutschland (Grafik: Kiess)

Liebe Mitglieder und Freunde unserer Schönstatt-Bewegung!

Papst Franziskus eröffnete am 8. Dezember das Heilige Jahr der Barmherzigkeit. Die offene Tür ist das sprechende Symbol für das offene, barmherzige Herz des himmlischen Vaters, für das auch die Kirche Zeugnis geben möchte.

Auch die Türen des Urheiligtums in Schönstatt und weiterer Schönstatt-Heiligtümer wurden feierlich als Pforte des Heiligen Jahres geöffnet. Barmherzigkeit, Güte, Liebe, Menschenfreundlichkeit – solche Worte begleiten die Themen des Heiligen Jahres.

Es sind ganz andere Worte, die die Diskussionen in den Medien bestimmen: Flüchtlinge, Außengrenzen, sichere Drittländer, Abschiebung, Eigeninteressen, Zukunftsfragen. Und auch erschütternde Erfahrungen: Anschläge, Todesopfer, Wut, Trauer und vor allem Angst.

Und immer wieder ist auch von Religion, von religiösen Gefühlen die Rede. Ja, auch von Gott wird gesprochen. Und wie verschieden!

Gott, der zu Güte und Menschlichkeit befähigt, und Gewalt ohne Respekt vor menschlichem Leben, die im Namen Gottes eine Rechtfertigung haben soll.

Europa ist gefragt

Und noch etwas wird uns bewusst. Europa wird auf besondere Weise herausgefordert. Wir sind nicht mehr Zuschauer, die aus bequemer Perspektive die Probleme der Welt als schlimme Nachrichten im Fernsehen verfolgen. Die Not vieler Menschen klopft an unsere Türen, und auch die menschenverachtende Gewalt des Terrorismus ist nach Europa gekommen.

Was für uns als Einzelne gilt, wird zur Aufgabe für die Völker und Gesellschaften in Europa. Auf welchem Fundament, auf welchen Werten bauen wir an der Zukunft?

Kaum etwas offenbart die tieferen Schichten des Charakters so sehr, wie wenn Angst alle inneren Kräfte lähmt. Was geschieht, wenn wir an diese Grenze kommen?

Hat Europa die Kraft, da noch auf dem Fundament der Menschenwürde und der Menschenrechte zu handeln, die eben für alle Menschen gelten?

Welche Verankerung trägt uns so stark, dass wir nicht von gesellschaftlichen Strömungen der Ausgrenzung oder der Gegengewalt bestimmt werden?

Ein Wort Pater Kentenichs aus dem Jahr 1949 hat mich nachdenklich gemacht. Er beschreibt den kollektivistischen und den individualistischen Menschen, und dann kommt eine überraschende Überlegung: „Das Gemeinschaftsband ist in Europa so stark zerrissen, dass nur eine Wahl bleibt: entweder Terrorismus, der die atomisierte Menschheit zusammenschweißt und vor dem Zusammenbruch bewahrt, oder Solidarismus, der sie seelisch wieder näherbringt, der das seelische Neben- und Gegeneinander durch ein tiefes seelisches Ineinander ablöst.“

Kein Zweifel, der Anruf der Zeit stellt sich heute so dar: Das seelische Neben- und Gegeneinander soll zu einem echten seelischen Ineinander und Miteinander verändert werden.

Schönstatt im Aufbruch

Als deutsche Schönstatt-Bewegung haben wir 2013 das Jubiläumsjahr mit dem Liebesbündnis für die Menschen in unserem Land begonnen und jetzt 2015 erleben wir, dass dieses Miteinander-Bündnis für uns alle in Deutschland, ja für Europa zum Auftrag wird.

Es ist jedem von uns klar, dass selbst übermenschlichste Anstrengungen von unserer Seite zahlenmäßig keine Antwort auf die internationale Dimension der Probleme darstellt. Ist das nicht genau das Lebensgefühl, das wir mit den meisten Menschen bei uns teilen? Selbst Psychologie und Soziologie beschäftigen sich mit der Frage, wie der Mensch seinen Selbstwert wieder findet, wenn er sich in seinen Machbarkeitsvorstellungen zwischen Allmachts- und Ohnmachtsfantasien hin und her bewegt.

Ich glaube, die Anfangszeit der Schönstatt-Bewegung war ganz außergewöhnlich davon geprägt, dass die Gottesmutter alle menschlichen Bemühungen besonders ernst nimmt und sich damit verbündet. Die gläubige Überzeugung, dass jeder Mensch geliebt und wertvoll ist, hat sich verbunden mit der Überzeugung, dass alle Beiträge und Bemühungen wichtig sind und fruchtbar werden.

„Nichts ohne dich – nichts ohne uns“. Diese typische Kurzformel für das Liebesbündnis ist genauso viel Aufforderung und Anspruch, wie es auch Vertrauen und Sorglosigkeit ausdrückt, dass die himmlischen Bündnispartner die Hauptverantwortung tragen.

Ich glaube, ein Schönstatt im Aufbruch fängt gerade auch damit an, dass wir unsere typische Antwort neu entdecken als Antwort, ja sogar als Antwort auf die Lähmungen und Anforderungen, in denen sich Europa bewähren muss.

Das bevorstehende Weihnachtsfest erinnert uns einmal mehr, wie kindlich klein und schutzlos die Antwort Gottes auf das menschliche Drama zwischen Gewalt und Ohnmacht aussieht.

Ich wünsche Ihnen allen ein reich gesegnetes Weihnachtsfest und einen frohen „Aufbruch“ in das Jahr 2016.

Ihr

            P. Ludwig Güthlein

Schönstatt–Bewegung Deutschland

Wortwolke Werke der Barmherzigkeit (Grafik: Brehm)

Wortwolke Werke der Barmherzigkeit (Grafik: Brehm)


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