Jubiläum 2014

Von Pallotti zu Petrus - Tagebucheintrag eines Rompilgers

Hunderte Pilger versammelten sich von der Kirche San Salvatore in Onda  (Foto: Brehm)

Hunderte Pilger versammelten sich von der Kirche San Salvatore in Onda (Foto: Brehm)

Gerhard Kunert. Es ist 19.45 Uhr. Ich bin auf dem Weg zur Ponte Sisto. Weil mal wieder kein Bus gekommen ist, gehe ich die letzten 10 Minuten am Tiber entlang, mitten durch die dunkle und so laute Stadt. Auf der rechten Seite überholen mich die Motorräder und Autos und nicht selten macht sich einer der Fahrer hupend bemerkbar, um einem anderen seine Anwesenheit deutlich zu machen oder freie Fahrt für sich einzufordern. Auf der linken Seite glitzern vom gegenüberliegenden Tiber-Ufer die Lichter auf dem Wasser und ein kleines Passagierschiff, das langsam und still daher kommt, zeichnet eine kleine aber kunstvolle Bugwelle auf die Wasseroberfläche, die sich pfeilartig bis zu den Ufern ausbreitet. Ein jungen Pärchen mit Pizza-Stücken auf der Hand flaniert gemächlich an der Tiber-Mauer entlang, während eine junge Mutter mit einem kleinen Kind im Kinderwagen wohl eilig auf dem Nachhauseweg ist. In einem Hauseingang entdecke ich wieder einen Obdachlosen, der sich mit Kartons und einer zu kurzen Decke ein behelfsmäßiges Dach über dem Kopf geschaffen hat, um der beginnenden Oktoberkälte etwas zu trotzen. Es gibt so viele von ihnen in dieser stolzen und geschichtsträchtigen Stadt, wie ich in diesen Tagen feststellen musste.

Ponte Sisto über den Tiber (Foto: Brehm)

Ponte Sisto über den Tiber (Foto: Brehm)

Auf der anderen Tiberseite kann ich im Scheinwerferlicht der vorbeifahrenden Autos die Fahnen der Pilger sehen, die mir vom Jubiläumsfest in Schönstatt so vertraut sind. Bevor ich um kurz vor 20 Uhr über die weltbekannte Steinbogenbrücke aus dem Mittelalter - ganz ohne Konkurrenz mit irgendwelchen Fahrzeugen - den Fluss überquere, fällt mir wieder ein, was ich schon am Morgen im Pilgerbuch gelesen habe: „Wir sind eine Kirche, die zu neuen Ufern aufbrechen möchte“, war da zu lesen, „hin zu einer Kirche, die – und ab jetzt ist es ein Wort, das mir Pater Kentenich auf den Pilgerweg mitgibt – bescheiden, arm, brüderlich und fern von Prunk ist und die es vor allem zulässt, sich vom Heiligen Geist antreiben zu lassen.“ Symbolisch breche ich schon mal über die Brücke zum neuen Ufer auf und ich bin gespannt, wie das Antreiben des Heiligen Geistes in den kommenden Tagen, Wochen und Jahren des neuen Schönstatt-Jahrhunderts sich zeigen wird.

Am „neuen Ufer“ ist jedenfalls die kleine Seitenstraße vor der Kirche San Salvatore in Onda schon mit Hunderten von Pilgern gefüllt. Es ist mir kaum möglich durch die erwartungsvollen, fröhlichen und lauten Pilger hindurch in die Kirche zu gelangen, um für kurze Augenblicke das Grab jenes Heiligen zu besuchen, dessen Idee von einer Vereinigung eines katholischen Apostolats, bei dem Priester, Ordensleute und Laien sich gemeinsam apostolischen Aufgaben widmen sollten, so starken Einzug gefunden hat unter die Ziele, die Schönstatt heute in der Nachfolge Pater Kentenichs erreichen möchte. Es ist eigenartig und berührend zugleich, die menschlichen Überreste des Heiligen Vinzenz Pallotti durch eine Glasscheibe hindurch im Sarg liegend sehen zu können. Aber viel mehr berührt mich an diesem Abend die Vorstellung, dass der Gründer Schönstatts seinen Weg in der Schule Pallottis und in der Gemeinschaft der Pallottiner begonnen hat und lange Jahre seines Lebens gegangen ist. Ich stelle mir vor, wie der kleine, unscheinbar aussehende und bescheiden auftretende Mann in dieser Kirche die heilige Messe zelebriert hat und ich höre ihn fragen „Kommst Du mit?“

Grab des Heiligen Vinzenz Pallotti (Foto: Brehm)

Grab des Heiligen Vinzenz Pallotti (Foto: Brehm)

Diese Frage des Gründers und ihre Beantwortung durch jeden einzelnen hat die Schönstatt-Jugend, die diesen Abend gestaltet, in den Mittelpunkt des abendlichen Pilgerweges zum Petersplatz gestellt. Auf dem ersten Abschnitt des etwa 1,7 km langen Weges soll der Rosenkranz gebetet werden. Eine gute Gelegenheit, über diese Frage und ihre Bedeutung nachzusinnen, so denke ich. Aber ich habe die Rechnung ohne die pulsierende Stadt gemacht. Als die Polizei den Verkehr aufhält, um den Pilgerzug die Straße überqueren zu lassen, damit dieser sich dann auf der zweiten Spur, parallel zum Verkehr, bewegen kann, beginnt ein ohrenbetäubendes lang anhaltendes Hupkonzert der betroffenen Autofahrer, die erst einmal warten müssen. Sie scheinen alle Choleriker zu sein, geht es mir durch den Kopf. Aber dann denke ich an die Väter, die vielleicht schnell zu ihren Familien nach Hause wollen oder die Frauen, die noch auf dem Weg zum Einkaufen sind oder den Unternehmer, der noch einen wichtigen Business-Termin hat, den er nicht versäumen möchte. Als schließlich der Verkehr wieder rollt, zieht sich ein etwa 400m langer Zug von Pilgern mit brennenden Kerzen in den Händen den Tiber entlang. Es ist kein besinnlicher Rosenkranz, den ich erlebe. Dazu ist die Stadt zu laut und der Verkehr zu heftig. Und trotzdem berührt er mich. Für all diese Menschen will die Kirche da sein. Für dieses pulsierende Leben gibt es Schönstatt. „Kommst Du mit?“ Ich höre die Frage und mir fallen die Menschen ein, denen ich auf der anderen Tiberseite auf dem Herweg begegnet bin. Und ich stelle mir die vor, die jetzt in Autos an mir vorbeirauschen. Ja, ich will mitkommen, auch wenn ich nicht weiß, wie ich wenigstens den Menschen, mit denen ich konkret zusammenkomme, in ihren Lebenssituationen gerecht werden kann.

Pilgerweg durch die romische innenstadt (Foto: Brehm)

Pilgerweg durch die romische innenstadt (Foto: Brehm)

Da kommt die Station in der Via della Conciliazione gerade recht. Hoch aufgerichtet sehe ich das Weltjugendtagskreuz und die Ikone der Gottesmutter, denen wir vorher offensichtlich gefolgt sind. Es ist Jesus Christus selber, der in die Lebenssituationen all dieser Menschen kommen möchte, an die ich gerade gedacht habe. Er will vielleicht nur, dass ich Türöffner werde oder Begleiter oder Beter im Hintergrund. Und ich bin nicht allein wird mir zugesagt. Die anderen sind auch noch da und werden mitgehen. Und – da ist Maria, deren Treue zum „nichts ohne dich“ ich doch eigentlich schon oft erfahren habe. So ist es plötzlich ganz einfach auf dem weiteren Weg zum Petersdom mit einem Nebenmann über die Frage ins Gespräch zu kommen, welche Erfahrungen mit Schönstatt mich am meisten geprägt haben. Auch wenn die vielen jungen Schönstätter aus aller Welt, die mir nicht erst an diesem Abend ins Auge springen, je näher sie dem Petersplatz kommen um so ausgelassener zu werden scheinen, bei mir geht es gerade anders herum. Je näher ich dem erhabenen Gebäude und dem beeindruckenden Platz komme, desto kleiner und unbedeutender fühle ich mich, desto stiller und wortkarger werde ich.

Kreuz und Ikone des Weltjugendtages waren dabei (Foto: Brehm)

Kreuz und Ikone des Weltjugendtages waren dabei (Foto: Brehm)

Man muss es einfach erlebt haben, dieses Zentrum der Weltkirche. Den ganzen Tag über sind Pilger, Besucher und Touristen in langen Schlangen angestanden, um nach und nach in den Dom über dem Grab des Heiligen Petrus gelangen zu können. Jetzt ist der Platz fast leer und wir können ihn mit unseren Lichtern in den Händen in Besitz nehmen. Bevor wir alle miteinander das Liebesbündnis erneuern, werden wir in unserer Muttersprache gefragt: „Kommst Du mit“. Und ich antworte zusammen mit den anderen deutschsprachigen Pilgern – natürlich lange nicht so entusiastisch wie Pilger anderer Herkunft aber doch nicht weniger überzeugt: „Ja Vater, ich gehe mit!“ Das Freundschaftsband mit der aufgestickten Frage und Antwort tausche ich mehrmals mit Pilgern unterschiedlicher Herkunft. Am Ende habe ich ein Band in der englischen Sprachfassung, das mich an einen denkwürdigen Pilgerabend durch die Stadt Rom erinnern wird. Und morgen früh werden wir dem Heiligen Vater begegnen …

Vor der Ankunft auf dem Petersplatz (Foto: Brehm)

Vor der Ankunft auf dem Petersplatz (Foto: Brehm)


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