Nachrichten

18. September 2018 | Worte des Bewegungsleiters | 

Tief verbundene Lebensgebilde schaffen


Jahresmotiv 2018 der Schönstatt-Bewegung in Deutschland (Grafik: POS Brehm)

Jahresmotiv 2018 der Schönstatt-Bewegung in Deutschland (Grafik: POS Brehm)

Liebe Mitglieder und Freunde unserer Schönstatt–Bewegung,

Vor einigen Wochen, auf dem Höhepunkt des Konfliktes in der Bundesregierung um die Regelungen im Umgang mit Flüchtlingen an den deutschen Landesgrenzen, gab es einen bedenkenswerten Kommentar eines Politikwissenschaftlers zur Situation.

Normalerweise erwarte ich in so einem Moment bei den abendlichen Nachrichten eher ein paar schön gedachte, aber doch weltfremde, wissenschaftliche Gedanken, als etwas, was ein wirklicher Beitrag zur realen Problematik ist. Doch ich wurde überrascht.

Probleme in globalem Maßstab brauchen kleinräumige Lösungen

In sehr einfachen Worten beschrieb der Professor, dass heute die meisten gesellschaftlichen und ökologischen Fragen Ursachen und Auswirkungen in globalem Maßstab haben. Dann sagt er aber: „Der Ruf nach der übergeordneten staatlichen, europäischen und globalen Verantwortungsebene ist zwar verständlich, aber gerade diese Ebenen werden nicht in der Lage sein, durch Großentscheidungen Lösungen zu schaffen. Große politische Entscheidungen schaffen erst Lösungen, wenn sie im konkreten Alltagsleben im Zusammenspiel von Menschen realisiert werden.“ Wie auch immer etwa die Anzahl von Flüchtlingen, von Mitbürgern mit Migrationshintergrund, von kultureller Pluralität sich gestaltet: Allein das Mehr oder Weniger ist nicht schon die Lösung. Der Problemdruck hat natürlich etwas mit der Zahl zu tun. Die Lösung aber liegt darin, wie Menschen sich in ihrem Miteinander Vielfalt, Identität und Integration überhaupt vorstellen und wie sie diese gestalten. Erwartungen aneinander und konkrete Toleranz entscheiden sich im Kleinbiotop des Zusammenlebens. An dieser kleinräumigen Lösung oder Nichtlösung geht letztlich kein Weg vorbei. Gegenseitige Vorwürfe bringen meistens nicht weiter.

Juli 2018
Deutung der Zeitströmungen lernen
Aus einem Brief von Pater Josef Kentenich an Pater Alex Menningen zum Marianischen Jahr 1954 – wie geschrieben an uns und hineingesprochen in das Kentenich-Jahr 2018, unser Gründergeist-Jahr:
Lieber Alex! 
Liebe deutsche Schönstatt-Bewegung!
„Ohne gegenseitige Schulung wird es uns schwer möglich sein, eine Anzahl gewiegter, selbständig denkender und richtig greifender Führerpersönlichkeiten großzuziehen und in die Schlacht hineinzuwerfen ...
Man sage nicht, das ist eine Kunst, die man nicht lernen kann. Ich möchte demgegenüber behaupten: Führt man selber ein Innenleben, wendet man unsere Betrachtungsmethode getreulich an, hält man ehrfürchtig Fühlung zu den Seelenstimmen in den Menschen, die man begleiten darf, bemüht man sich um eine philosophische Zusammenschau letzter Wahrheiten und Wirklichkeiten und um standhafte Beheimatung darin, ringt man gleichzeitig um inneres Gelöstsein von sich und Geöffnetsein für fremde Art und Unart, für fremde Not und fremdes Ringen, so bekommt man früher oder später eine Gewandtheit, wie das auf allen psychologischen Gebieten zu konstatieren ist, wo sich das Gesetz verwirklicht: habitus fit per repetitionem actuum – (Eine Gewohnheit entsteht durch wertgesättigte Wiederholung von Handlungen). Kommt eine tiefe Liebe zum Gegenüber hinzu, so ist die rätselhafte Kunst schnell gelernt.
Als drittes Mittel nenne ich das Studium der Bücher, die in ihrer Art sich die Aufgabe gestellt haben, die Zeit verständlich zu machen.“ Pater Kentenich schreibt (Foto: Archiv)

Pater Kentenich schreibt (Foto: Archiv)

Zu diesem kurzen Kommentar in den Abendnachrichten gibt es sicher noch viel zu diskutieren. Für mich ist etwas von der Spannung deutlich geworden, dass auch Problemlösungen mit globalen Zusammenhängen ohne die gelebten Antworten „vor Ort“ nicht genug Wirkung entfalten. Je mehr man nach der großen Gesamtlösung ruft, fördert man immer größere Machtkonzentrationen, die selbst wieder Ursache von Problemen mit globalem Ausmaß schaffen. Inzwischen haben wir erlebt, wie die Macht der Meinungsmache von Facebook und Co Wahlen manipuliert hat, die zwar viele einzelne Stimmen addiert und doch am Ende sich mehr wie eine Zerstörung der Demokratie auswirkt. Demokratiefähigkeit ist mehr, als Mitschwimmen mit Meinungsmache und Trends.

Bei einer Jahrestagung der österreichischen Schönstatt-Bewegung wurde das einmal so formuliert:

Schönstatt ist fraktal

Ich vermute mal, dass nicht viele dieses Wort sofort verstehen. Ich musste nachlesen, was das Wort bedeutet. Fraktale sind geometrische Gebilde, die selbstähnlich sind in den kleinen Details und im großen Ganzen. Also z. B. ein Dreieck, das aus Dreiecken besteht, die aus Dreiecken bestehen usw. … So eine Fraktal-Antenne haben wir heute in jedem Mobiltelefon. Auf kleinem Raum entsteht eine Wirkung und Sendeleistung, die ohne diese spezielle Form nur durch eine viel größere Einzelantenne erreichbar wäre. Diese Überzeugung steckt auch hinter dem Wort „Schönstatt ist fraktal“: Die Gesamtwirkung des Ganzen entsteht und verstärkt sich durch gelebte Schönstatt-Identität im Kleinen. In jedem Projekt, wenn es in der inneren Verbundenheit und in dieser Mentalität steht, bildet sich Schönstatt ab.

Die Prinzipien des Anfangs sind die Prinzipien der Erneuerung

Pater Kentenich weist Pater Menningen in seinem Brief über Neugründung und Neuaufbau Schönstatts eigens darauf hin. „Die gegenwärtige Lage der Gesamtfamilie“ braucht einen Neubeginn. „Ihre Neugründung … kann normalerweise nur von kleinen Zellen ausgehen.“

Schönstatt im Kleinen und Schönstatt im Großen gestaltet sich aus den gleichen Prinzipien. Das Liebesbündnis mit Maria, die pädagogischen Leitsterne in der Pädagogik Kentenichs, das Sich-führen-Lassen vom Gott des Lebens, Originalität, Vielfalt und Miteinander als Organisationsprinzip: Alles gilt für die Spiritualität jedes Einzelnen, jeder Gruppe und auch für jede Schönstatt-Bewegung eines ganzen Landes.

Der Gedenktag des 15. September 2018 soll so ein Erneuerungs- und Neugründungstag werden. So vielfältig wie Schönstatt in unserem Land ist. Jeder Einzelne, alle Gliederungen und Gemeinschaften, alle Diözesen und Schönstatt-Zentren – jedes „Lebensgebilde“, sagt Pater Kentenich in dem bereits zitierten Brief, – leben ihren Anteil für unseren neuen Anfang im Heiligen Geist.

Und wie am Anfang der Gründung Schönstatts, vertrauen wir der Zusage der Gottesmutter, unserer Bündnispartnerin: „Macht euch keine Sorge um die Erfüllung eures Wunsches, zeigt mir nur, dass ihr mich liebt“.

In herzlicher Verbundenheit


Ihr

P. Ludwig Güthlein
Schönstatt-Bewegung Deutschland


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