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5. September 2018 | Kommentar der Woche | 

Michael Gerber - Wohin entwickelt sich unsere Gesellschaft?


Zerfetzte Deutschlandfahne (Foto: pixabay.com)

Kommentar der Woche: Wohin entwickelt sich unsere Gesellschaft?

Weihbischof Dr. Michael Gerber, Freiburg (Foto: basis-online.net)

Weihbischof Dr. Michael Gerber, Freiburg (Foto: basis-online.net)

5.9.2018

Michael Gerber

Wohin entwickelt sich unsere Gesellschaft?

Wieder einmal sind wir aufgeschreckt und verunsichert. Da wird ein Offenburger Arzt in einer Praxis durch einen seiner Patienten ermordet. Wenig später stirbt ein Familienvater in Chemnitz an den Folgen einer tödlichen Auseinandersetzung. Beide Male haben die mutmaßlichen Täter einen Migrationshintergrund. Eltern sprechen mich an und stellen kritisch die Frage: Wohin entwickelt sich unsere Gesellschaft, in welcher Zukunft werden unsere Kinder groß???  

Im Interesse einer zukunftsfähigen Gesellschaft führt kein Weg daran vorbei, Sorge dafür zu tragen, dass Menschen – sowohl diejenigen, die bei uns aufgewachsen sind als auch diejenigen, die neu zu uns kommen – elementare Grundwerte nicht nur kennen lernen. Nein, es gilt, diese auch zu verinnerlichen. Damit können u.a. konstruktive Formen der Konfliktlösung erlernt werden. Hier gibt es Grundwerte, die wir als Gesellschaft nicht zur Disposition stellen dürfen – egal in welchem kulturellen Kontext wer auch immer aufgewachsen ist. In diesem Zusammenhang bin ich – wie viele andere auch – sehr dankbar für die Maßnahmen, Initiativen und vor allem für die konkreten Menschen, die sich mit viel Kraft und Kreativität solchen Wegen der Integration widmen. Bisweilen ist das auch mit manchem Frust verbunden und ich habe großen Respekt vor allen, die dann trotzdem weiter machen. Hier sind wir gerade auch als Christen gefordert und es gibt derzeit viele solcher Initiativen aus dem Bereich der Kirchen.

Wohin entwickelt sich unsere Gesellschaft? Vieles, was über die Demonstrationen „gegen Migration“ in den letzten Tagen aus Chemnitz und von anderen Orten berichtet wurde, hat mich – wie sehr viele andere Menschen auch – beunruhigt. Weder der deutsch-kubanische Familienvater aus Chemnitz noch der Offenburger Arzt, der gerne Menschen aller Hautfarben behandelte, passen ins Profil derer, die in diesen Tagen mit ihren Parolen vorgeben, die Heimat zu schützen. Auf diesen Widerspruch angesprochen, erwidert der örtliche AFD-Abgeordnete und Organisator der Offenburger Demonstration, die als Reaktion auf den Mord an jenem Arzt stattfand gegenüber Reportern: „Der ermordete Arzt ist mir egal. Der eine Mensch ist mir nicht wichtig. Mir geht es darum, dass in diesem Land etwas schiefläuft.“ (Badische Zeitung, 20.8.2018, Seite 4)

Was passiert hier? Werden hier nicht nur diejenigen, die zu uns geflüchtet sind, sondern selbst die unschuldigen Opfer endgültig zur Projektionsfläche von Hass und Wut? Wird ihr Schicksal zum bloßen Anlass einer großen Kampagne?

Jeder Ansatz, eine Gesellschaft auf dem Hintergrund neu auftretender und sehr ernst zu nehmender Probleme und Spannungen in die Zukunft zu entwickeln, muss den konkreten Menschen im Blick behalten. Kein Menschenschicksal darf einfach nur einer Idee oder einem übergeordneten Interesse verzweckt oder gar geopfert werden. Hier scheiden sich die Geister und zeigt sich klar, was mit einer zukunftsfähigen Ethik vereinbar ist und was nicht.

Weihbischof Dr. Michael Gerber,
Freiburg


Quelle: www.basis-online.net
Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung


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