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19. März 2017 | Delegiertentagung | 

Zeichen der Zeit musikalisch aufgespießt - Lieder als Zwischenruf


Wilfried Röhrig: Lieder als Zwischenruf (Foto: Brehm)

Wilfried Röhrig: Lieder als Zwischenruf (Foto: Brehm)

Hbre. „Wir haben Lieder gehört, wie vielleicht noch nie in dieser Runde, ein bisschen Kabarett, … Wie reagiert man auf sowas, wenn man von hinten durch die Brust ins Auge etwas mitgeteilt bekommt?“ fragt Pater Ludwig Güthlein bei der Delegiertentagung zu Beginn seines Impulses zur Zentralwertsuche am Samstagvormittag. Er bezieht sich dabei auf den Programmpunkt „Lieder als Zwischenruf“, den der bekannte Liedermacher Wilfried Röhrig, Autor des Musicals „Auf dem Hochseil“ über den jungen Josef Kentenich, am Nachmittag des Vortages gestaltet hatte. Unter dem Stichwort „Wahrnehmen“ war dieses kurze Konzert ein weiterer Schritt beim Blick auf die Zeichen der Zeit.

Solo-Auftritt mit zwei Gitarrenfreundinnen

Zum Auftakt seines Solo-Auftrittes mit seinen beiden „Gitarrenfreundinnen, die kirchlicherseits ja kein Problem sind“, machte Wilfried Röhrig deutlich, dass er heute keine frommen Lieder mitgebracht habe. Es seien vielleicht eher „adventliche Lieder“, zum einen da sie in der Adventszeit 2016 entstanden seien, in einer Zeit in der ihm „zu unserer Welt, in Deutschland, in Europa und auch weltweit“ viele Gedanken durch den Kopf gegangen seien. Aber auch in dem Sinne „adventlich“, weil viele Menschen die Sehnsucht verspüren nach einer anderen Welt, die besser ist, die mehr leben lässt, wo es Sicherheit, Wärme und Geborgenheit gibt.

Liedermacher Wilfried Röhrig beim Konzert im Pater-Kentenich-Haus in Vallendar-Schönstatt während der Delegiertentagung (Foto: Brehm)

Liedermacher Wilfried Röhrig beim Konzert im Pater-Kentenich-Haus in Vallendar-Schönstatt während der Delegiertentagung (Foto: Brehm)

Selbstreferenzielle Realitätsdeutung und was ist deutsch

Gleich mit dem ersten Lied, das den Titel „Grauland-Lied oder: Wie Herr Gauland die Welt sieht“ trägt, wird deutlich, wohin die neue Liedersammlung von Wilfried Röhrig zielt. Subtil und direkt, wortgewandt und klug kritisiert er den selbstreferenziellen Wahn einer Realitätsdeutung, die durch expressives Emotionalisieren Nationalismus und Rassismus fördert: „Ich setz auf Gefühle aus dem Bauch von ganz unten, ich hab meinen Kopf an Instinkte gebunden: Im Kampf um das Dasein in grellbunter Masse zählt nur die Gruppe, meine eigene Rasse.“

Passen Koriander, Harry Potter, Peugeot, Whisky, Sushi, Samba oder Yoga zu Deutschland? „Nein, nein, nein!“, kann das Publikum spöttisch mitsingen. „Identitäter“, das zweite Lied, stellt die Frage, was ist eigentlich Deutsch und was passt zu Deutschland oder auch nicht. Das Titelwort Identitäter ist der österreichischen Bewegung der Identitären entlehnt, die es mittlerweile auch in Deutschland gäbe. Wie die so denken, das thematisiert der Refrain des Liedes: „Wir sind Identitäter, keine schnöden Volksverräter. Wir kämpfen rund um die Uhr für die deutsche Leidkultur.“

Ein mitgehendes Publikum (Foto: Brehm)

Ein mitgehendes Publikum (Foto: Brehm)

Die Krux mit der Wahrheit und dem Stammtischgerede

Mit dem Lied „Die Wahrheit hat ausgedient“ seziert der Liedermacher eindrücklich eine Wirklichkeit, in der Meinungen, Bauchgefühl, Empörung, Lüge und alternative Fakten „in“ sind und der Wert der Wahrheit denunziert, pervertiert und manipuliert wird. Besonders eindrücklich ist die ironisch-musikalische Übereinstimmung mit der Aussage des Liedes.

Könnte es sein“ ist der Titel, mit dem Röhrig die Neidkultur unserer Tage entschleiert: das Stammtischgerede über die da oben, die Millionen scheffeln, die Politiker, die sich auf ihren Diäten ausruhen, die Scheinasylanten, die auf Kosten der Allgemeinheit leben, … Das Lied stellt die Frage, ob die, die so reden, nicht mit ihrer eigenen Situation unzufrieden sind und deshalb die Gabe verloren haben, dankbar, mutig und gütig zu sein. Eindrücklich der Einsatz eines verminderten Mollakkordes als musikalischer Ausdruck der Schizophrenie zwischen dem nach außen geäußerten Wort und der innerseelischen Gemütsverfassung der angesprochenen Personen.

Ein mitgehendes Publikum (Foto: Brehm)

Ein mitgehendes Publikum (Foto: Brehm)

Angst vor Veränderung

Im Herbst des vergangenen Jahres sei ihm immer klarer geworden, so erzählt Wilfried Röhrig vor dem nächsten Lied, dass die Welt sich derzeit rasant verändert, besonders auch politisch: Populismus, die Fragen der sozialen Sicherheit, Flüchtlingsfrage, Internet, wo alles oder nichts geht, fast schon ein rechtsfreies Feld. So greift das Lied „Wenn der Wind weht“ genau diese gespürte Veränderung und die damit verbundenen Gefühle auf: „Wenn der Wind der Veränderung weht, welchem Weg wollen wir dann trauen? Woll'n wir Mauern oder Windmühlen bauen?“ Der Refrain sei dem chinesischen Sprichwort „Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen“, entnommen. Er hoffe sehr, dass die Schönstätter, die ja eine Bewegung seien, was er meistens auch so fühle, zu denen gehören, die Windmühlen bauen.

Das Lied „Die Trumpbahn“ ist ihm eingefallen, weil sein Nachbar, der immer gut drauf sei, in seinem Garten eine große Eisenbahnanlage betreibe und zu allen möglichen Zeiten, auch nachts um halb elf die Züge fahren lasse. Das habe ihn irgendwie an Trump erinnert: „Egal, was passiert, da können die Fetzen fliegen, die Trumpbahn, die rollt …“

Das Lied vom absurden Blödsinn

Das letzte Lied „Post-faktisch“ lädt die Teilnehmer wieder zum Mitsingen ein. Schon der Refrain entlarvt die hinter der in Mode gekommenen neuen Vokabel sich verbergende Haltung als vollkommenen Blödsinn: „Das ist `ne coole Masche, das ist ein geiler Trick. Ich sage nur: „So ist es!“ und schon macht es „klick“. Und mit der Litanei artigen Aufzählung von Post-Fakten, also von auf Gefühlen, nicht auf Tatsachen beruhenden Wahrheiten, macht der Liedermacher mutig und gnadenlos auf die Absurdität einer solchen Lebenseinstellung aufmerksam.

Dass aufgrund der begrenzten Zeit einige weitere neue Lieder des Komponisten und Autors nicht mehr zur Aufführung kommen konnten, lässt manchen Zuhörer auf die Publikation einer neuen CD aus dem Verlag rigma (www.rigma.de) hoffen. Faktisch!

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