Nachrichten

4. März 2016 | Rund ums Urheiligtum | 

JKI-Studientag zum Thema Barmherzigkeit heute


Podiumsgesprächsrunde mit den Referenten des JKI-Studientages zum Thema Barmherzigkeit: Moderation: Dr. Gertrud Pollak, Mainz  (Foto: Brehm) Podiumsgesprächsrunde mit den Referenten des JKI-Studientages zum Thema Barmherzigkeit: Moderation: Dr. Gertrud Pollak, Mainz  (Foto: Brehm)

Hbre. Das hat es so bei einer Veranstaltung des Josef-Kentenich-Institutes bisher noch nicht gegeben. Ein Bauingenieur eröffnet den Studientag des wissenschaftlichen Institutes, das sich die Erforschung von Lehre, Werk und Person Pater Josef Kentenichs, des Gründers der Schönstattbewegung, zur Aufgabe gemacht hat. Doch im Jahr der Barmherzigkeit möchte das Institut unter dem Thema „Barmherzigkeit in dieser Welt?“ einen Panoramablick auf ein Thema werfen, das keineswegs nur theologische, philosophische oder sozialpolitische Bezüge mit sich bringt. Prof. Dr.-Ing. Lothar Ruf, Darmstadt, näherte sich daher der Fragestellung des Tages unter dem Thema „Globalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft – Chancen für Barmherzigkeit?“ Doch die Theologie kam nicht zu kurz. Privatdozent Dr. Bernd Biberger beschäftigte sich mit „biblischen Gedanken zur Barmherzigkeit“. Unter dem Aspekt „Mitgefühl und Selbstmitgefühl“ richtete schließlich der psychologische Psychotherapeut Klaus Glas, Flieden, den Blick auf das Individuum und die Frage, was Psychologen unter Barmherzigkeit verstehen.

Prof. Dr.-Ing. Lothar Ruf, Darmstadt (Foto: Brehm)

Prof. Dr.-Ing. Lothar Ruf, Darmstadt (Foto: Brehm)

"Barmherzigkeit ist möglich" (Foto: Brehm)

"Barmherzigkeit ist möglich" (Foto: Brehm)

"Mischen wir uns ein!" (Foto: Brehm)

"Mischen wir uns ein!" (Foto: Brehm)

Barmherzig handeln innerhalb wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen

Das Prinzip der Wirtschaft sei nicht die Barmherzigkeit, sondern die Effizienz, machte Prof. Ruf in seinem Beitrag deutlich. Ergebnis geteilt durch Aufwand müsse größer eins sein. Doch deshalb sei Wirtschaft nichts Schlechtes. Man müsse sich klar werden, dass jeder, der Waren konsumiere oder produziere, Teil dieser Wirtschaft sei. Wirtschaft könne allerdings pervertieren und ungerecht werden, wenn keine reellen Güter mehr getauscht würden und die Gier nach Profit sowie der Durst nach Macht zur unkontrollierten Ausbeutung führten. Auch die Globalisierung gäbe es eigentlich bereits seit Menschen begonnen hätten, Waren zu tauschen. Sie sei nichts Schlechtes und heute schlicht notwendig. Sie mache allerdings, wie es Papst Benedikt XVI ausgedrückt habe, die Menschen nicht zu Geschwistern, sondern eher zu Nachbarn. Aspekte der Globalisierung wie die zunehmende weltweite wirtschaftliche Verflechtung, der technische Fortschritt mit blitzschneller Kommunikation und sinkenden Transportkosten sowie das Wegfallen von Zöllen und die Einführung von Weltnormen beinhalteten aber auch die Gefahr einer unbarmherzigen Anonymisierung und Isolation Einzelner und ganzer Gruppen von Menschen. Wenn er die in der Verkündigungsbulle des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit von Papst Franziskus in Anlehnung an das Lukasevangelium (Lk 6, 27-38) formulierten „Barmherzigkeitsregeln“ wirtschaftlicher Realität gegenüberstelle, so könne er auf den ersten Blick wenig Raum und Chance für Barmherzigkeit im Raum der Wirtschaft entdecken, machte Ruf deutlich.

Betrachte man die Gesellschaft, so könne man feststellen, dass es für manche „Werke der Barmherzigkeit“ staatliche oder öffentlich-rechtliche Institutionen gäbe wie Sozialamt (Hungrige speisen, Durstigen zu trinken geben, Nackte bekleiden), Krankenversicherung (Kranke pflegen) und Schulen (Unwissende lehren). Die Gesellschaft könne für Gerechtigkeit sorgen, barmherzig könne sie höchstens im individuellen Kleinbereich sein, aber nicht generell.

Wenn er allerdings seine eigene Werdegeschichte betrachte, so könne er feststellen, dass der einzelne Mensch innerhalb der gegebenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen doch die Möglichkeit zu barmherzigem Handeln habe. Vieles, was er in seiner Schönstatt-Geschichte bereits bei der Schönstatt-Mannesjugend kennen gelernt habe, habe er in seinem wirtschaftlichen Handeln einsetzen können. Ruf nannte z.B. die Kentenich-Pädagogik. Mitarbeitern Freiheit zu lassen wecke enorme Potentiale. Im Sinne einer Bündniskultur Beziehungen zwischen Mitarbeitern und Management zu fördern und den Respekt vor jedem Mitarbeiter als Mensch und Persönlichkeit zur Maxime des Handelns zu machen, habe genauso Auswirkungen auf das betriebswirtschaftliche Ergebnis wie der Einsatz und die Förderung von Mitarbeitern nach ihren Fähigkeiten. Auch das Kentenichsche Regierungsprinzip „Autoritär im Prinzip, demokratisch in der Anwendung“ oder der Hinweis „Überaus einfühlend und Rücksicht nehmend auf die individuellen und sozialen Bedürfnisse der Natur“, hätten ihm geholfen, Wirtschaftsführung und Management als dienendes Amt, als übertragene und verliehene Verantwortung zu begreifen. Auf diese Weise hätten schönstättische Prinzipien für ihn eine direkte Bedeutung für eine menschengerechte Wirtschaft und eine Kultur der Solidarität. Barmherzigkeit in wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Handeln sei also doch möglich.

Privatdozent Dr. Bernd Biberger (Foto: Brehm)

Privatdozent Dr. Bernd Biberger (Foto: Brehm)

„Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist“ (LK 6,36)

Nach diesem weit von außen kommenden Blick auf die Barmherzigkeit lenkte der zweite Fachvortrag des Studientages von Privatdozent Dr. Bernd Biberger, Vallendar-Schönstatt, unter dem Thema „Gnädig und barmherzig ist der Herr – Biblische Gedanken zur Barmherzigkeit“ die Aufmerksamkeit der etwa 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf eine biblische Sicht der Barmherzigkeit. Indem Papst Franziskus die im Lukasevangelium verankerte Aufforderung zur Barmherzigkeit dem außerordentlichen Heiligen Jahr als Motto gegeben habe, setze er einen dreifachen Impuls. Der Heilige Vater betone erstens als Gottesbild den unendlich barmherzigen, liebenden Vatergott. Er kennzeichne zweitens die Barmherzigkeit als eine herausragende Eigenschaft christlicher Gemeinschaft. Und er verweise drittens auf die Heilige Schrift als Quelle der Erkenntnis über Barmherzigkeit. An ausgewählten Beispielen des Alten und des Neuen Testaments stellte Biberger Aspekte der Barmherzigkeit dar. Schon in der Selbstoffenbarung Gottes am Berg Sinai (Ex 34,6-7) werde Gott als barmherzig, gnädig und langmütig beschrieben, dessen Barmherzigkeit aber nicht darin bestehe, Unrecht einfach zu übergehen, so als ob es dieses nicht gegeben hätte. „Barm-herzigkeit ist nicht das Auslöschen von Unrecht, denn das wäre Ungerechtigkeit, sondern Barmherzigkeit ist das Heilen von Unrecht“, so Biberger. Voraussetzung dafür sei allerdings, dass der Sünder sich zu seiner Schuld bekenne und um Vergebung bitte. Bei Hosea (Hos 11, 1-11) werde sogar deutlich, dass Gott sich auch dann als barmherzig erweise, wenn „weder ein Schuldbekenntnis des Volkes noch ein Anzeichen für dessen Reue oder gar für dessen Umkehr“ vorliege. Grund dafür sei Gottes Liebe zu seinem Volk.

Beim Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15,11-32) werde ganz ausdrücklich das Bild vom barmherzigen Vater deutlich. Gott achte die menschliche Freiheit aber auch die daraus resultierenden Konsequenzen. Wer die eigene Erbärmlichkeit eingesteht, Schuld anerkennt und bekennt, erhält vom Vater die Würde und damit das Leben zurück. „Die Barmherzigkeit des Vaters stiftet Leben“, so Biberger. Im Gleichnis des gnadenlosen Schuldners (Mt 18,23-34) werde wie auch im Motto des Jahres der Barmherzigkeit „Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist“ (LK 6,36) deutlich, dass Gott zur Imitation seines barmherzigen Handelns auffordere. Und gleichzeitig betone dieses Gleichnis, dass derjenige, der unbarmherzig mit seinen Mitmenschen ist, nicht auf die Barmherzigkeit Gottes setzen könne.

Dr. Peter Wolf, Generalrektor des Schönstatt-Institutes Diözesanpriester (Foto: Brehm)

Dr. Peter Wolf, Generalrektor des Schönstatt-Institutes Diözesanpriester (Foto: Brehm)

Wolf: „Viele haben in Pater Kentenich einen väterlichen Priester erlebt, in dessen Person auf menschliche Weise die Botschaft vom barmherzig liebenden Vatergott erfahrbar und erlebbar wurde.“ (Foto: Brehm)

Wolf: „Viele haben in Pater Kentenich einen väterlichen Priester erlebt, in dessen Person auf menschliche Weise die Botschaft vom barmherzig liebenden Vatergott erfahrbar und erlebbar wurde.“ (Foto: Brehm)

Ein väterlicher Priester, der die Botschaft vom barmherzig liebenden Vatergott erfahrbar machte

Dr. Peter Wolf, Generalrektor des Schönstatt-Institutes Diözesanpriester, führte die Teilnehmer zu Beginn des Nachmittagsprogrammes in eine Gruppenarbeit mit Texten von Pater Josef Kentenich, ein. In einer Zeit, für die das Urteil von Kardinal Kasper gelte, dass Barmherzigkeit ein „sträflich vernachlässigtes Thema“ der Theologie sei (Walter Kasper, Barmherzigkeit Grundbegriff des Evangeliums - Schlüssel christlichen Lebens, S. 19), habe der Gründer Schönstatts die biblische Botschaft der Barmherzigkeit seiner werdenden Bewegung zugänglich gemacht. Neben den biblischen Zugängen zu einem barmherzigen Vatergott habe er sich auch von großen Heiligen anregen lassen, so z.B. von Franz von Sales, dessen Gedanken des „Weltgrundgesetzes der Liebe" in seinem Denken und seiner Verkündigung eine wichtige Rolle spiele. „Für das Bild des barmherzig liebenden Vaters und für die Kindlichkeit ihm gegenüber wird Theresia vom Kinde Jesu geradezu eine Kronzeugin für ihn“, betont Dr. Wolf. Außerdem schöpfe Kentenich auch aus dem geistlichen Erbe von Vinzenz Pallotti, der in bewegenden Gebeten Gott als die „unendliche Barmherzigkeit“ anspreche.

Über die Lehre hinaus habe Kentenich die Botschaft der Barmherzigkeit schon früh und dann immer stärker in seiner Person verkörpert. „Viele haben in Pater Kentenich einen väterlichen Priester erlebt, in dessen Person auf menschliche Weise die Botschaft vom barmherzig liebenden Vatergott erfahrbar und erlebbar wurde.“ Das sei, so Peter Wolf, „wichtiger und für die Zukunft kostbarer als die neue Sicht und Wertung der biblischen Texte.“

Klaus Glas, Flieden, psychologischer Psychotherapeut  (Foto: Brehm)

Klaus Glas, Flieden, psychologischer Psychotherapeut  (Foto: Brehm)

Glas: "Mein Lieblingswort von Pater Kentenich: 'Erst Mensch, dann Christ, dann ganzer Mensch'." (Foto: Brehm)

Glas: "Mein Lieblingswort von Pater Kentenich: 'Erst Mensch, dann Christ, dann ganzer Mensch'." (Foto: Brehm)

Ein Blick aus psychologischer Perspektive auf die Barmherzigkeit

Im vierten Teil des Studientages beschäftigte sich der Psychologe Klaus Glas sehr anschaulich damit, wie eine barmherzige Lebenseinstellung beim Menschen entsteht. Im Rahmen der Darstellung, wie sich aus Empathie Mitgefühl entwickelt, wurde interessanterweise deutlich, dass ausgedrückte Emotionen bei Babys schon in den ersten Lebensmonaten ansteckende Wirkungen haben. Empathie ist also angeboren. Außerdem betonte Glas, dass die Entwicklung von Empathie durch eine „sichere Bindung“ gefördert wird. Psychologische Forschungen hätten gezeigt, dass sich das Mitgefühl vieler auf Mitglieder der eigenen Gruppe beschränke. Der „barmherzige Samariter“ der Bibel habe die höchste Stufe des Mitgefühls erreicht: Er habe einem Fremden geholfen, der zudem von der eigenen Gruppe abgelehnt worden sei.

Am Beispiel der „Barmherziger-Samariter-Feldstudie“ von Darley & Batson aus dem Jahr 1973, bei der 40 Priester-Seminaristen unter kontrollierten Bedingungen mit einem hilfsbedürftigen Menschen (Schauspieler) konfrontiert wurden, machte Glas deutlich, dass der Einfluss des Stressfaktors Zeit am meisten Einfluss auf die Hilfsbereitschaft der beobachteten Seminaristen hatte, wohingegen der Grad ihrer Religiosität keinen bzw. das erwartete Gesprächsthema (über die Samaritergeschichte oder über Berufsaussichten) eher geringe Auswirkungen für ihr Handeln hatte. Wer entspannt ist, sei empathiefähiger und „gewissen“hafter. „Unter Zeitdruck und Überlastung bleibt die Hilfsbereitschaft meist ausgeschaltet“, so Klaus Glas. In einem weiteren Abschnitt seines Beitrages beschäftigte sich Glas auch mit der Frage, warum Menschen manchmal nicht helfen. Das könne mit dem Zuschauereffekt zu tun haben. Wenn andere da sind, kann man leichter die Verantwortung abwälzen. Viele schauten auch erst mal darauf, was andere tun, bevor sie selbst eine Entscheidung träfen. Manchmal sei es auch die Angst, etwas falsch zu machen, die eine aktive Hilfe verhindere. Frauen seien insgesamt etwas empathischer als Männer veranlagt. Männer zeigten auch weniger Mitgefühl. Fast 80 Prozent der ehrenamtlichen Helfer in der Flüchtlingsbetreuung seien z.B. Frauen.

JKI-Studientag: Publikum (Foto: Brehm)

JKI-Studientag: Publikum (Foto: Brehm)

Wichtig war dem Referenten das Thema Selbst-Mitgefühl, das er mit den Worten des Dalai Lama begründete: „Um sich um andere kümmern zu können, ist es notwendig, für sich selbst zu sorgen.“ Der heutige Mensch sei gut darin, sich selbst zu verurteilen, sich zu isolieren und negative Selbstgefühle über zu betonen. Weniger gut seien Menschen heute darin, mit Zügen ihrer Persönlichkeit, die sie nicht mögen, verständnisvoll und geduldig umzugehen. Mitgefühl könne man aber lernen und trainieren, wie die Erfahrungen mit der an die buddhistische Metta-Meditation angelehnten sogenannten „Liebende-Güte-Meditation“ zeigten.

In der Schönstatt-Bewegung seien viele Bezugspunkte zur Barmherzigkeit zu finden. Zum Beispiel das „Liebesbündnis untereinander“, also in der Eigen-Gruppe, aber auch das „Liebesbündnis stellvertretend für...“, also im Blick auf jemanden aus der Fremd-Gruppe. Worte wie „Herzensgüte“, „barmherzliche Liebe“, „Bündnis-Mitgefühl“, „Liebesgüte“ und andere sprächen eine beredte Sprache. Trotzdem sei es z.B. eine bleibende Herausforderung, zu überlegen, wie man Männern aus der Bewegung helfen könne, mehr Mitgefühl und Hilfsbereitschaft zu empfinden und zu zeigen. Gerade angesichts der Flüchtlingssituation, die es mit sich bringe, dass Barmherzigkeit ein wichtiges Thema auf Jahre hinaus bleibe, stelle sich der Bewegung die Frage nach „Ritualen der Barmherzigkeit“. Glas regte an, zu überlegen, ob nicht - analog zur „Spurensuche“ - ein eigener Begriff für „Barmherzigkeit aus dem LB heraus“ hilfreich wäre, um das Thema im Geiste Schönstatts weiter zu verlebendigen.


Top