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29. Januar 2016 | Deutschland | 

Prälat Wilhelm Wissing - Ein außergewöhnlicher Mann – auch im Dienste Schönstatts


Prälat Wilhelm Wissing in der Missionszentrale in Aachen 1980 (Foto: missio Aachen)

Prälat Wilhelm Wissing in der Missionszentrale in Aachen 1980 (Foto: missio Aachen)

Oskar Bühler. „Was haben uns die Bischöfe denn da für ein Jüngelchen geschickt?“ Dies fragte Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer einen seiner Minister, nachdem sich der neue Leiter des „Katholischen Büros“, der Vertretung der deutschen Bischöfe bei Regierung und Parlament in Bonn, bei ihm vorgestellt hatte. Der neue Leiter war der bisherige Bundeskurat der Katholischen Landjugendbewegung Wilhelm Wissing, Priester der Diözese Münster, damals 42 Jahre alt bzw. jung. Ein Jahr später sagte derselbe Kanzler zum selben Minister: „Der Wissing ist nicht unfromm, aber er versteht auch was von der Welt.“ An sein Urteil von vor einem Jahr erinnert wollte Adenauer dies nicht mehr gesagt haben.

Prälat Wilhelm Wissing in der Missionszentrale in Aachen 1980 (Foto: missio Aachen)

Prälat Wilhelm Wissing (Foto: missio Aachen)

Zum 100. Geburtstag von Prälat Wilhelm Wissing (1916-1996) am 31. Januar

Am 31. Januar jährt sich zum 100. Mal der Geburtstag von Prälat Wilhelm Wissing. Wer war Wilhelm Wissing? Was ist der Grund, dass wir an dieser Stelle seiner gedenken? Einige Stichworte: Nachfolger von Karl Leisner als Diözesanjungscharführer im Bistum Münster – Jugendseelsorger und enger Mitarbeiter des Seelsorgereferenten Heinrich Tenhumberg – Bundeskurat der Katholischen Landjugend und Erbauer des ‚Klausenhofs‘ – Leiter des ‚Katholischen Büros / Kommissariat der deutschen Bischöfe“ in Bonn – Direktor des Katholischen Missionswerks „missio“ in Aachen; dazu noch einige Nebenaufgaben, z.B.: Geistlicher Direktor der „Frauen von Schönstatt“ – Assistent von Bischof Dr. Josef Höffner in dessen Eigenschaft als „Moderator et Custos / Leiter und Beschützer“ des Schönstattwerkes – Apostolischer Administrator des Schönstattwerkes – erster Generaloberer des neu gegründeten Säkularinstituts der Schönstattpatres – Konsultor der Religiosenkongregation für den Bereich der Säkularinstitute.

Sein großes Vorbild: Karl Leisner

Neben dem Elternhaus in Köckelwick/Vreden war es besonders die katholische Jugendbewegung der 30er Jahre, wovon Wilhelm Wissing geprägt worden ist. Kirchliche Jugendarbeit bedeutete damals unausweichlich, in Kontroverse und im Konflikt mit dem Nationalsozialismus zu stehen. Wilhelm Wissing war schon früh in der katholischen Jugendarbeit, der ‚Jungschar‘, engagiert. Großes Vorbild war ihm Karl Leisner, der erste Diözesanjungscharführer im Bistum Münster und spätere Martyrer von Dachau. „Er hat uns bei Begegnungen in Vreden, vor allem anhand von Schriftstellen, das zum Erlebnis gemacht, was er selbst in seinem Tagebuch beschrieb: ‚Christus ist meine Leidenschaft.‘  . . . Die oft nicht leichten Situationen in der Vredener Jugend wären ohne den Schwung Leisners, seine Begeisterung und seine Bereitschaft zum Leid, auch das Äußerste gegen den Staat zu wagen, nicht durchgestanden worden. Er verabscheute das unwahre System und sagte es offen in der Führerrunde“ erinnert sich der 73jährige in einem ausführlichen Interview in seiner Heimatstadt Vreden. Und weiter: „Wenn er bei uns war und die Hl. Schrift auslegte, so habe ich in Jugendstunden selten Besseres gehört oder Froheres erlebt. Karl Leisner berichtete uns in seinen Erzählungen auch vom größeren Deutschland und von Europa. Mit Begeisterung schilderte er seine Fahrten z. B. durch Flandern oder die Schweiz. In einer Zeit, die so nationalistisch verengt war, hat er uns den Blick dafür erhalten, dass die Welt nicht an den Grenzen Deutschlands endet. Er erwanderte Länder des alten Kontinents und wir konnten nicht genug davon hören. Es entstand sogar so etwas wie Begeisterung für Europa.“

„Gott tut nichts als fügen.“

Im Herbst 1936 hat Wilhelm Wissing das Amt des Diözesanjungscharführers von Karl Leisner übernommen. Er hatte keine leichte Zeit vor sich. Sein Abitur hat er nur dadurch bekommen, dass er an dem Tag zur mündlichen Prüfung gerufen wurde, an dem der Vertreter der staatlichen Schulaufsicht nicht anwesend war, obwohl er dem Alphabet entsprechend erst am dritten Tag hätte geprüft werden sollen.

Über seine Militärzeit berichtet Wilhelm Wissing, dass ihm eine Krankheit das Leben gerettet hat. Wegen dieser Krankheit wurde er von der Front zurückgeschickt, während ein Großteil seiner Kameraden im feindlichen Kugelhagel zu Tode kam. Sein Kommentar: „Gott tut nichts als fügen.“

Neue Konzepte für die Jugendarbeit

Nach der Priesterweihe am 21. Dezember 1946 war Wissing etwa drei Jahre lang Kaplan in Coesfeld. Die Jugendarbeit, die er dort aufbaute, empfahl ihn für ‚Höheres‘; er wurde im Oktober 1949 Diözesanjugendseelsorger der Mannesjugend im Bistum Münster. Schon in Coesfeld hatte er erkannt, dass es notwendig ist, eine klare Konzeption für die Jugendarbeit zu entwickeln. Jetzt hatte er dazu die Möglichkeit. In engem Kontakt mit dem Seelsorgereferenten Heinrich Tenhumberg – sie kannten sich schon aus der Jugendzeit – wurde eine Konzeption entwickelt, die teilweise andere Akzente setzte als die Zentrale in Düsseldorf unter Prälat Ludwig Wolker. Während man sich dort einseitig an die kirchlichen Strukturen halten wollte („Pfarrjugend“), gingen Tenhumberg und Wissing davon aus, dass die Interessen der 17-18-jährigen Jugendlichen stark vom Berufsleben her geprägt sind. Aus diesen Überlegungen entstand die Katholische Landjugendbewegung (KLJB), an deren Aufbau Wissing maßgeblich beteiligt war. Diese Konzeption kam auch der Christlichen Arbeiterjugend (CAJ) und dem damals noch stark handwerklich orientierten Kolpingwerk entgegen.

Auch diese Aufbauarbeit auf Diözesanebene empfahl Wilhelm Wissing für ‚Höheres‘: 1952 wurde er in das Amt des Bundeskuraten der KLJB berufen. Hier galt es nun, das in Münster entwickelte Konzept auf Bundesebene umzusetzen. Schwerpunkt dieser fünfjährigen Arbeit war der Aufbau der Akademie Klausenhof (www.akademie-klausenhof.de).

Wissing (re) mit seinem evangelischen Kollegen, Bischof Kunst, (li) im Gespräch mit Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer (Foto: privat)

Wissing (re) mit seinem evangelischen Kollegen, Bischof Kunst, (li) im Gespräch mit Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer (Foto: privat)

Wissing im Gespräch mit Bundesminister Franz-Josef Strauß (Foto: privat)

Wissing im Gespräch mit Bundesminister Franz-Josef Strauß (Foto: privat)

Von der Seelsorge in die Politik

Noch vor Abschluss dieser Arbeit wurde Wilhelm Wissing 1958 von der Fuldaer Bischofskonferenz – so hieß die Deutsche Bischofskonferenz damals - für eine neue Aufgabe ausersehen: er soll Leiter des „Katholischen Büros“ in Bonn werden. Das bedeutete einen Wechsel von der Seelsorge in die Politik. Und das für einen Menschen, der von sich sagte, er habe sich bisher nicht besonders für politisches Engagement interessiert. Die Fragen aber, die er zu Beginn seiner Tätigkeit hinsichtlich der Konzeption seiner Dienststelle an die Bischöfe stellte, zeugen durchaus von Fähigkeiten, die ihn für diese Aufgabe empfahlen.

Den Menschen in seiner Würde und seinen Bedürfnissen in den Vordergrund stellen

Die Arbeit in dieser neuen Position war äußerst vielfältig. Nur ein Schwerpunkt soll hervorgehoben werden. Es war die Zeit, als die deutschen Bischöfe angesichts des beginnenden ‚Wirtschaftswunders‘ sich ihrer weltkirchlichen Verantwortung bewusst wurden und die Gründung der Hilfswerke MISEREOR („Gegen Hunger und Krankheit in der Welt“) und ADVENIAT („Für die seelsorglichen Bedürfnisse in Lateinamerika“) vorbereiteten. Gleichzeitig wurde im Bereich der Politik ‚Entwicklungshilfe‘ als neue Aufgabe entdeckt; wie in der Politik vielfach üblich, spielte dabei aber die Frage nach dem eigenen wirtschaftlichen Nutzen eine nicht geringe Rolle. Es war Wilhelm Wissing, der die Chance erkannte, durch ein Zusammenwirken von kirchlicher und staatlicher Entwicklungshilfe nicht nur größere Effekte zu erzielen, sondern auch die Ziele der staatlichen Entwicklungshilfe nicht so sehr am wirtschaftlichen Eigennutz zu orientieren, sondern den Einsatz für den Menschen in seiner Würde und seinen Bedürfnissen in den Vordergrund zu stellen. Wissing beschreibt die Entwicklung seiner Idee folgendermaßen: Es war „eine der großen Aufgaben, die das Katholische Büro . . . von sich aus anpackte, . . . die Hilfe für die notleidenden Menschen in der Dritten Welt. Die Idee einer internationalen Solidarität sollte in der Bundesrepublik Deutschland auch durch die Zusammenarbeit von Kirche und Staat verwirklicht werden. Zugegeben, es war für beide Seiten ein ungewohnter Weg, zugegeben, es war für beide Seiten auch ein Risiko. Niemand wusste anfangs so genau, wie diese Zusammenarbeit vonstatten gehen sollte, noch welche Hindernisse sich auftun würden und wie sie beseitigt werden könnten.“

In seinen Erinnerungen beschreibt Wissing ausführlich die vielen und vielseitigen Gespräche und Verhandlungen, die notwendig waren, um dieses Vorhaben in Gang zu bringen und zu einem brauchbaren und dauerhaften Instrument einer menschengerechten Entwicklungshilfe zu gestalten. Was damals durch Wilhelm Wissing in Gang gesetzt und in umsichtiger und gründlich durchdachter Weise aufgebaut wurde, hat die verschiedenen Koalitionen und politischen Konstellationen überdauert und ist heute noch ein bedeutsamer Weg gemeinsamer kirchlich-staatlicher Entwicklungshilfe. Es ist das Werk von Wilhelm Wissing, wie Außenminister Schröder in seinem Glückwunsch zum 50. Geburtstag schrieb: „Die segensreichen Auswirkungen der staatlich geförderten Entwicklungshilfe der Kirche sind in weitgehendem Maße Ergebnis Ihrer Tätigkeit.“

Engagement für die Schönstattbewegung

In die Zeit seiner Tätigkeit als Leiter des Katholischen Büros fiel auch sein Engagement für die Schönstattbewegung als „zusätzlich freiwillig übernommene“ Aufgabe. Wie es dazu kam, schildert Wissing in seinen Erinnerungen, die er in seinen letzten eineinhalb Lebensjahren aufgezeichnet hat: „Bei einer unserer vierzehntägigen Begegnungen fragte er [= Kardinal Frings, damals Vorsitzender der Fuldaer Bischofskonferenz] mich, ob ich bereit sei, zusätzlich eine mehr seelsorgliche Aufgabe zu übernehmen, nämlich die Mitleitung und pastorale Betreuung eines Säkularinstitutes der Frauen von Schönstatt.“ Damit begann für Wissing eine Reihe von Aufgaben, die einen „gläubigen Diplomaten“ erforderten.

Schönstatt - das war für Wissing ein bisher unbekanntes Aufgabenfeld. Möglicherweise hat er es zeitweise als ein „vermintes Gelände“ empfunden. Zwei kirchliche Visitationen – eine bischöfliche und eine päpstliche – hatten das Schönstattwerk in eine schwierige Situation gebracht: der Gründer wurde 1951 vom Heiligen Offizium in die Verbannung nach USA geschickt; über den vom Heiligen Offizium 1953 eingesetzten General der Pallottiner versuchte diese oberste kirchliche Behörde Einfluss zu nehmen auf die verschiedenen Gemeinschaften des  Schönstattwerkes. Schönstatt sollte sich nicht im Sinne des Gründers, sondern im Sinne des Visitators weiter entfalten. Pallottinerpatres, die im Sinne des Gründers arbeiteten, wurden aus der Schönstattbewegung zurückgezogen. Andere Pallottiner und auch Priester von außerhalb der Schönstattbewegung sollten in die Leitung der Schönstattgemeinschaften kommen.

Dass man im Falle der „Frauen von Schönstatt“ auf Prälat Wissing kam, mag mit seinen guten Beziehungen zu Weihbischof Heinrich Tenhumberg zu tun gehabt haben. Damit war auch vorgezeichnet, dass Wissing sich nicht einfach in dem intendierten Sinne einspannen ließ. Er durchschaute die Situation, und auf Seiten Schönstatts fasste man Vertrauen zu ihm.

Offizieller Auftrag für die „Causa Schönstatt“

Als während des II. Vatikanischen Konzils (1962-1965) von Seiten Schönstatts – vorwiegend von Weihbischof Heinrich Tenhumberg, aber auch von Bischof Adolf Bolte – intensive Gespräche mit verschiedenen Stellen der Römischen Kurie geführt wurden und sich gegen Ende der zweiten Sitzungsperiode eine Lösung der Schönstattfrage (noch nicht der Gründerfrage) abzeichnete, wurde man neu auf Wilhelm Wissing aufmerksam. Die sich abzeichnende Lösung wurde am 3. Dezember 1963 in einem Schreiben der Religiosenkongregation an den damaligen Bischof von Münster, Dr. Joseph Höffner, dekretiert. Darin heißt es: „1. Der Hochwürdigste P. Albers O.P. wird als Delegat dieser heiligen Kongregation ernannt, damit er die gegenwärtige Lage der verschiedenen Vereinigungen Schönstatts untersuche und darüber berichte. 2. Eure Exzellenz wird zum Leiter und Beschützer (Moderator et Custos) des ganzen Schönstattwerkes ernannt, bis daß der Auftrag des Hochwst. P. Albers O.P. zu Ende geführt ist. 3. Um diese Aufgabe besser erfüllen zu können, wolle Eure Exzellenz sich den Hochwst. Herrn Wilhelm Wissing als Assistenten und Delegaten zur Seite stellen . . .“ (H. Tenhumberg, Konzilstagebuch 03.12.1963). Prälat Wissing hatte somit einen offiziellen Auftrag, in der „Causa Schönstatt“ tätig zu werden. Dieser Auftrag öffnete ihm auch die Türen zu den einschlägigen Stellen an der römischen Kurie. Für Schönstatt war diese Ernennung ein Glücksfall – er selber würde ganz in unserem Sinne sagen, was er oft zu sagen pflegte: „Gott tut nichts als fügen.“

Ziel: die Unabhängigkeit Schönstatts

Ziel seiner Arbeit im Dienste des „Moderator et Custos“ war es, die Unabhängigkeit und Eigenständigkeit des Schönstattwerkes gegenüber der Gesellschaft der Pallottiner zu erwirken, wobei die hauptsächliche Schwierigkeit darin bestand, dass die damalige Leitung der Pallottiner dies unbedingt verhindern wollte. Die erstrebte Unabhängigkeit Schönstatts wurde mit Dekret vom 6. Oktober 1964 von der Religiosenkongregation ausgesprochen und am 18. Oktober bei der Jubiläumsfeier in Schönstatt von dem in diesem Dekret ernannten Apostolischen Administrator verkündet; dieser Apostolische Administrator war Prälat Wilhelm Wissing.

Wissing wird Apostolischer Administrator

Diese neue Position – er hatte direkten Zugang zum Papst und war diesem direkt verantwortlich – gab Wissing die Möglichkeit, die Lösung der anstehenden schwierigen Fragen um Schönstatt voranzutreiben. Zu diesen Problemen gehörten:

  • § die Situation am Ort Schönstatt – das Urheiligtum war Eigentum der Gesellschaft der Pallottiner,
  • § die Situation und Zukunft der Pallottinerpatres, die sich im Sinne des Gründers im Aufbau des Schönstattwerkes engagieren wollten bzw. die darin ihre Berufung sahen, und damit verbunden die Bildung einer Gemeinschaft, die im Schönstattwerk an die Stelle der nun ausgeschiedenen Gesellschaft der Pallottiner trat,
  • § und nicht zuletzt die weiter dauernde Verbannung des Gründers, wofür nach wie vor das Heilige Offizium zuständig war.

Weihbischof Tenhumberg kommentierte diese Ernennung in seinem Konzilstagebuch mit folgenden Worten: „Prälat Wissing ist sich der Schwere der bevorstehenden Aufgabe völlig bewußt, ist aber bereit, sie um der Sache willen zu übernehmen, zumal er in der Zeit seiner Tätigkeit als Generalassistent der ‚Frauen von Schönstatt‘ und als Assistent von Bischof Höffner für das gesamte Schönstattwerk hat erfahren können, daß es sich um ein für die Kirche durchaus bedeutsames Werk handelt“. (11.10.1964)

Eine Aufgabe, die an die Substanz ging

Mit Elan und Geschick und besonders mit einem Einsatz, der zusätzlich zu seiner täglichen Arbeit in Bonn das Letzte an Kraft forderte, ging Wissing ans Werk. „Es war eine Arbeit“, so schreibt Wissing selber, „mit viel Zeitaufwand, mit vielen Schriftsätzen, mit unendlich vielen Gesprächen in Deutschland, in der Schweiz, in Rom. Es hat Monate gegeben, in denen ich dreimal in dreißig Tagen nach Rom geflogen bin – am Freitag hin und am Montagmorgen zurück -, um dann die Verhandlungen und die eigentliche Tätigkeit in Bonn wieder zu beginnen.“ Im Konzilstagebuch von Weihbischof Tenhumberg kann man lesen, dass die Mitarbeiter in Bonn Sorgen um die Gesundheit ihres Chefs hatten; ein Mal bat sein Stellvertreter ausdrücklich darum, man möge Wissing die Schönstattaufgabe wieder abnehmen, weil er völlig überlastet und seine Gesundheit gefährdet sei. (05.12.1965)

Über den Inhalt seiner Arbeit hielt Wissing in seinen Erinnerungen fest: „Meine Auseinandersetzung mit dem Heiligen Offizium betraf vor allem zwei Fragen: die Frage des Gehorsams und die Frage des Charismas. Und in der Tat vertrat Pater Kentenich eine Gehorsamsauffassung, die einen mehr familiären Charakter hatte und der kirchenüblichen nicht entsprach. [P. Kentenich verwendete in diesem Zusammenhang den Begriff „familienhafter Gehorsam“ – O.B.] Und bei der Frage nach dem Charisma stand der Verdacht im Hintergrund, dass er seine Sendung höher einschätze als die Sendung der Kirche, und er persönlich das letzte Wort habe. In vielen Gesprächen und Darlegungen habe ich diese Probleme klären können, so dass einer Heimkehr des Gründers nichts im Wege stand.“

Prälat Wissing im Gespräch mit P. Josef Kentenich (Foto: Haus Regina, Schönstatt)

Prälat Wissing im Gespräch mit P. Josef Kentenich (Foto: Haus Regina, Schönstatt)

„Gott tut nichts als fügen.“

Doch sollten sich noch weitere Schwierigkeiten ergeben: Prälat Wissing hatte beim Heiligen Offizium erreicht, dass Pater Kentenich voraussichtlich im Oktober 1965 nach Rom gerufen wird – also während der vierten Sitzungsperiode des Konzils. Am ersten Tag dieser Sitzungsperiode jedoch, dem 13. September 1965, trat etwas ein, was die Situation ziemlich veränderte und zunächst erheblich erschwerte: Pater Kentenich erhielt ein Telegramm mit dem Inhalt, er müsse unverzüglich nach Rom kommen, unterschrieben vom Stellvertreter des Generals der Pallottiner. Als er am 17. September im Generalat in Rom ankam, erhielt er die Auskunft, dass dort niemand an ihn ein Telegramm abgeschickt habe. Die Herkunft des Telegramms konnte trotz intensiver Recherchen, die von Seiten Schönstatts in Rom und in Milwaukee veranlasst wurden, nicht geklärt werden. Die Verwirrung war groß. Und es kamen an der Römischen Kurie Verdächtigungen auf, die Schönstätter oder gar Pater Kentenich selbst könnten das Telegramm geschickt haben. Der Apostolische Administrator war gefordert. In vielen Gesprächen konnte er – kräftig unterstützt von Weihbischof Tenhumberg – diese Verdächtigungen widerlegen. Weiter musste er verhindern, dass Pater Kentenich wieder nach Milwaukee zurückgeschickt wird (was von den Kardinälen des Heiligen Offiziums schon beschlossen war), und auch dafür zahlreiche Gespräche führen. Am 20. Oktober beschlossen die Kardinäle des Heiligen Offiziums, die Causa Kentenich der Religiosenkongregation zu übergeben, was zur Folge hatte, dass Pater Kentenich ein freier Mann ist; am 22. Oktober hat Papst Paul VI. diesen Beschluss bestätigt und in Kraft gesetzt. Pater Kentenich sah in dieser bewegten Entwicklung einschließlich des ungeklärten Telegramms eine Fügung der göttlichen Vorsehung; der Apostolische Administrator konnte ihm zustimmen: „Gott tut nichts als fügen.“

Wilhelm Wissing in der Reihe der Portraits der Generalobern der Schönstatt-Patres im Vaterhaus Berg Sion (Foto: Bühler)

Wilhelm Wissing in der Reihe der Portraits der Generalobern der Schönstatt-Patres im Vaterhaus Berg Sion (Foto: Bühler)

Wissing wird auch zum ersten Oberen der Gemeinschaft der Schönstatt.Patres

Neben den Gesprächen zur Lösung der Causa Kentenich war noch über viele andere Fragen zu verhandeln. Schon im Juli 1965 war nach vielen Verhandlungen das Säkularinstitut der Schönstattpatres gegründet worden. Wilhelm Wissing berichtet darüber und wie er plötzlich ein weiteres Amt bekam: „In Ausführung dieses Dekretes [vom 6. Oktober 1964 – s.o.] hielt ich mich nach Genesung von einer schweren Operation vier Wochen in Rom auf und habe Tag für Tag verhandelt. Und das Endergebnis zeigt, dass der liebe Gott Humor hat: Die neue Priestergemeinschaft war ins Leben gerufen, sie hatte Statuten, war genehmigt, aber es gab noch keinen Oberen. Der zuständige Kardinal belehrte mich: ‚Es gibt in Rom keine Gemeinschaft, die keinen Oberen hat. Ein Oberer muss da sein, sonst kann ich dem Papst diese Gemeinschaft nicht vorschlagen‘. Als ich einen Augenblick etwas ratlos guckte, sagte der Kardinal: ‚Also schlage ich vor, dass Sie Oberer werden in dieser Gemeinschaft‘. Mein Einwand: ‚Ich gehöre gar nicht zu Schönstatt, auch nicht zu den Priestern, und ich habe auch nicht die Absicht beizutreten‘. Da sagte der Kardinal: ‚Dies ist im Augenblick egal. Entweder Sie sagen Ja dazu oder ich schließe die Akte und werde dem Papst heute Nachmittag die Gründung nicht vorschlagen‘. So wurde ich über Nacht auch noch Oberer einer Priestergemeinschaft in Schönstatt.“

Vertrauensverhältnis zwischen Apostolischem Administrator und dem Gründer Schönstatts

Es kann im Rahmen dieses Artikels nicht im Einzelnen dargestellt werden, wie viele Probleme und Fragen im Einzelnen in vielseitigen Gesprächen zu klären waren, Fragen am Ort Schönstatt, Fragen um die Pallottiner (in Deutschland, Schweiz, Chile), die zum Institut der Schönstattpatres übertreten wollten, u.a. Eine besondere für Pater Kentenich wie für Prälat Wissing charakteristische Begebenheit sei erwähnt. In dem Ernennungsdekret zum Apostolischen Administrator stand auch die Vollmacht, dass Prälat Wissing den Rektor des Urheiligtums in Schönstatt ernennen dürfe, obwohl dieses Eigentum der Pallottiner war. Zwischen dem Apostolischen Administrator, dem Vorsitzenden des Generalpräsidiums, WB Tenhumberg, dem Gründer Pater Kentenich einerseits und dem Pater General der Pallottiner, Wilhelm Möhler, war in langen Verhandlungen ein modus vivendi um das Urheiligtum im Tal Schönstatt erarbeitet worden; dabei war auch verhandelt worden, welchen Pallottinerpater der Apostolische Administrator zum Rektor des Urheiligtums ernennen werde. Als diese Verhandlungen praktisch abgeschlossen und unterschriftsreif waren, machte Pater Kentenich den Vorschlag, auf eine schriftliche Fixierung der getroffenen Vereinbarungen zu verzichten und deren Verwirklichung der Hochherzigkeit beider Seiten zu überlassen, also auf ein ‚juristisches Druckmittel‘ zu verzichten. Dieser Vorschlag hatte auch die Bitte an den Apostolischen Administrator zum Inhalt, er möge von der Ernennung eines Rektors des Urheiligtums absehen, weil dies ein tiefgreifender Eingriff in die Eigentumsrechte der Pallottiner wäre, der als Demütigung empfunden werden müsse. Prälat Wissing ging auf diesen Vorschlag ein, er werde zwar nicht auf sein Ernennungsrecht verzichten, es aber praktisch nicht ausüben, um so im Sinne P. Kentenichs zu einer tiefgreifenden Friedensregelung am Ort Schönstatt beizutragen. Ein Zeichen des Vertrauensverhältnisses, das zwischen dem Apostolischen Administrator und dem Gründer Schönstatts bestand. Leider ist diese geplante Friedensregelung in der Folgezeit nicht zum Tragen gekommen.

Das Amt des Apostolischen Administrators für das Schönstattwerk hatte Wilhelm Wissing bis zum 31. Mai 1966 inne. Er blieb aber der Schönstattfamilie weiter verbunden und war bis zu seinem Tod beratendes Mitglied des Generalpräsidiums.

Prälat Wilhelm Wissing in der Missionszentrale in Aachen 1980 (Foto: missio Aachen)

Prälat Wilhelm Wissing in der Missionszentrale in Aachen 1980 (Foto: missio Aachen)

Aus dem Päpstlichen Werk der Glaubensverbreitung wird missio

Seine Tätigkeit im Katholischen Büro musste Prälat Wissing im Jahre 1967 wegen einer schweren Krankheit beenden. Erst 1969 war er wieder so weit hergestellt, dass er einen neuen Auftrag übernehmen konnte. Sein neues Betätigungsfeld war in Aachen das „Päpstliche Werk der Glaubensverbreitung“. Es würde im Rahmen dieses Artikels zu weit führen, Wissings Wirken in diesem Bereich auch nur in gedrängter Weise darzustellen. Es sei zum Schluss lediglich erwähnt, wie er die neue Arbeit in Aachen angegangen ist. Die Worte, die er an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter richtete, beleuchten nicht nur die damalige Situation des PWG, sondern auch den Menschen Wilhelm Wissing und die Art und Weise, wie er diese Aufgabe anpackte.

Sein langjähriger Mitarbeiter in Aachen, Karl Höller, berichtet: „Der neue Präsident bat alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in die Kapelle, den größten Raum der Missionszentrale in der Aachener Hermannstraße und eröffnete ihnen bittere Wahrheiten: Das Päpstliche Werk der Glaubensverbreitung ist ein sinkendes Schiff. Die Spenden für die Mission bleiben bedrohlich aus. Die Zahl der Mitglieder geht zurück.

Die jungen Werke Misereor und Adveniat haben mit ihren attraktiven Themen der sozialen Entwicklungshilfe und der Pastoral in Lateinamerika das mehr als 130 Jahre alte Missionswerk mit dem Ziel der Heidenbekehrung weit hinter sich gelassen.

‚Wenn wir nicht in Kürze durch Spenden- und Mitgliederwerbung sowie durch intensive Bildungsarbeit aufholen‘, sagte Wissing, ‚können sie sich einen neuen Arbeitsplatz suchen‘.“

Dass aus diesem PWG „missio“ geworden ist, so wie wir es heute kennen, das war Wilhelm Wissings Werk. Nicht nur Schönstatt ist ihm zu großem Dank verpflichtet!

Quellen

  • Wilhelm Wissing, Gott tut nichts als fügen. Erinnerungen an ein Leben in bewegter Zeit, herausgegeben von Karl R. Höller, Mainz 2001.
  • Heinrich Tenhumberg, Beim II. Vatikanischen Konzil, Tagebuchnotizen 1962-1966 (teilweise veröffentlicht von Joachim Schmiedl, Münster 2015.)

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