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24. November 2015 | Deutschland | 

Misiones 2015 in Kassel-Nord: So wächst ein Licht


misioneras vor dem Tageseinsatzplan in Kassel-Nord (Foto: Dold)

misioneras vor dem Tageseinsatzplan in Kassel-Nord (Foto: Dold)

Sr. M. Anrika Dold. Kassel-Nord: 27% Arbeitslose, 70% Sozialhilfeempfänger, 80% mit Alkoholproblemen, 56% Kinderarmut. Kassel-Nord: Der Ort, der für 30 junge Erwachsene, zehn Tage lang, vom 18. bis 28. September 2015, zum Ort ihrer Mission wird. Die ersten misiones nach dem großen Schönstattjubiläum wagen sich hinaus an die Randgebiete unseres Landes, ganz im Sinne des Memorandums der internationalen Schönstattbewegung: „Erfüllt von missionarischem Geist bieten wir allen Menschen …– bis an die Peripherien der Gesellschaft – das Liebesbündnis als Weg und Hoffnung an.“

Die Gruppe bei der Aussendungsfeier im Schönstatt-Heiligtum in Dietershausen (Foto: Dold)

Die Gruppe bei der Aussendungsfeier im Schönstatt-Heiligtum in Dietershausen (Foto: Dold)

Gebetszeit in der Pfarrkirche (Foto: Dold)

Gebetszeit in der Pfarrkirche (Foto: Dold)

Zeit der Stärkung (Foto: Dold)

Die Gruppe bei der Aussendungsfeier im Schönstatt-Heiligtum in Dietershausen (Foto: Dold)

Abendlob bei der Pietá (Foto: Dold)

Abendlob bei der Pietá (Foto: Dold)

Spezialtruppe erforderlich

Die kirchliche Bilanz in der Diaspora Hessens sieht ähnlich ernüchternd aus: Die letzte kirchliche Hochzeit war 2010. In den letzten vier Jahren gab es vier Taufen. Erstkommunion und Firmung fanden keine statt. Kirchliche Angebote erreichen die Menschen nur dann noch, wenn auch ihre schwierige soziale Lage mitberücksichtigt wird. So gibt es in der Pfarrei St. Josef, Kassel Nord, eine Kleiderkammer und eine Lebensmittelausgabe, die zweimal pro Woche stattfindet.

Im zweiten Weltkrieg ist die Kirche der Pfarrei komplett abgebrannt – nur eine Pietá aus Holz wurde aus den Trümmern geborgen, unversehrt. „Ein Hoffnungszeichen für die Menschen“, wie Pfarrer Krönung, der mit den misioneros die Tage durchführt, betont. So sieht er auch das Projekt misiones – Glauben leben: Als Hoffnungszeichen, das den Menschen eine Perspektive gibt. „Hier ist kein sozialer Brennpunkt, sondern ein sozialer Flächenbrand“, so Pfarrer Krönung. „Deshalb ist dafür auch, wie bei Feuerwehreinsätzen, eine Spezialtruppe erforderlich, die besser ausgerüstet und aufgestellt ist.“ Als solch eine Spezialtruppe hat er die misioneros in seine Pfarrei geholt, die vor allem bereit sind auf die Straßen und von Tür zu Tür zu gehen.

Hausbesuche sind Herzstück des Projektes misiones – Glauben leben

Und misiones ist da – mit einer Gruppe junger, begeisterter Menschen, die die tristen Häuserblocks besuchen und Treppenhäuser besteigen, an denen der Putz abblättert: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass man abends gerne heimkommt, wenn man hier wohnt…“, meint eine der Teilnehmerinnen.

So werden die Hausbesuche in diesem Jahr noch mehr als sonst zum Herzstück des Projektes misiones – Glauben leben: Einfach zu den Menschen gehen, für sie da sein, Zeit schenken, zuhören, und oft ein kleines MTA-Bild da lassen. Parallel dazu die Anbetung in der Kirche. Und es kommt auch hier, in Kassel-Nord, zu unvergesslichen Begegnungen. Da ist der Ü60-Tontechniker, der jahrelang in London gearbeitet hat, jetzt irgendwie enttäuscht vom Leben ist und seine Besucher schließlich doch hereinbittet, um ihnen auf einer seiner sechs Gitarren „Let it be“ und „Here comes the sun“ vorzuspielen und vorzusingen. Da ist die 87-jährige Frau, die ihren geliebten Mann verloren hat und sich fragt, wo er jetzt wohl ist; die die jungen Leute darum bittet, mit ihr gemeinsam für ihren Mann zu beten und sich dabei verstohlen eine Träne abwischt. Da ist der Handwerker, der gerade in einer der Wohnungen, die besucht werden, arbeitet und sich in seiner Zigarettenpause für die jungen Leute an der Haustür interessiert; der alleine wohnt und von seiner letzten Frau bestohlen wurde; der gerne glauben würde, aber nicht kann. Und da ist der Mann, der das Liebste, was er hat, verlor – seine Oma – und der, als er eine Kerze und ein MTA-Bild überreicht bekommt, schnell die Tür schließen muss, damit man seine Tränen nicht sieht.

Spontane Gaudi in der Straßenbahn (Foto: Schleifer)

Spontane Gaudi in der Straßenbahn (Foto: Schleifer)

Beim Flash-Mob in der Stadt (Foto: Schleifer)

Beim Flash-Mob in der Stadt (Foto: Schleifer)

Zum Abschluss Dank dem Leitungsteam (Foto: Dold)

Zum Abschluss Dank dem Leitungsteam (Foto: Dold)

Spontane Aktionen voller Kreativität und Begeisterung

Und auch wenn es zunächst so scheint, als ob kaum zusätzliche Angebote gemacht werden könnten, ergeben sich viele spontane Aktionen, die voller Kreativität und Begeisterung aufgegriffen werden: Ein Besuch in der Grundschule, eine Flashmob in der Stadt, eine Straßenbahnaktion und das Fest der Völker nach einer Lebensmittelausgabe mit Kinderschminken, Popcornmaschine und vielen frohen Gesichtern.

Außerdem entscheidet sich die Gruppe dafür, auch hier in Kassel-Nord jeden Tag ein Abendlob anzubieten – wohlwissend, dass nicht viele kommen werden. Am ersten Abend kam dann auch genau eine Person. Kein Grund jedoch für die misioneros, nicht weiterzumachen. Mit den Tagen werden es mehr. Die Zahl steigt von 3, 5, 7, 10 tatsächlich auf bis zu 15 Teilnehmern am Ende der Woche – nicht zuletzt durch die Einladungen an der Haustür. Dabei wird an einem Abend die Pietá ganz in den Vordergrund gerückt: Das Hoffnungszeichen dieser Pfarrei.

Vorauseilende Schatten – vielversprechend und hoffnungsvoll

Hoffnung und Sehnsucht, dafür steht auch eine Erfahrung, ganz am Ende der misiones-Woche: Zwei misioneras kommen nach dem Aufräumen in der Kirche mit einem Mann ins Gespräch. Unter anderem erzählt er ihnen eine Episode aus seiner Kindheit, wie er den zweiten Weltkrieg miterlebt hat. Er erinnert sich, dass er einmal mit seinen zwei Geschwistern im Bunker saß. Seine Mutter musste die drei wieder einmal alleine lassen, um nach der Lage zu sehen, und sie erwarteten voller Angst ihre Rückkehr. Ihr Kommen kündigte sich stets durch den ihr vorauseilenden Schatten an - eine schwache Silhouette nur, aber so vielversprechend, so hoffnungsvoll. Und dieser vage Schatten der Mutter war es, der den Lärm, Qualm und Terror des Luftangriffs in den Kinderherzen zurückdrängte. Das hat er bis heute nicht vergessen.

So wächst ein Licht in dir geborgen, die Kraft zum neuen Beginn

So dürfen die Kundschafter in den Straßen am Ende dieser Tage voller Dankbarkeit zurückschauen: Was sie hier erlebt haben, war genau das, was am Ende des kurzen Youtube-Videoclips (s.u.) zu hören ist, wenn das Lied von Gregor Linßen erklingt: „So wächst ein Licht in dir geborgen, die Kraft zum neuen Beginn.“


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