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8. Oktober 2015 | Deutschland | 

Kirchweihfest am 25. Jahrestag der Deutschen Einheit im Kleinen Paradies in Heiligenstadt


OpenAir-Gottesdienst beim Schönstatt-Heiligtum im Kleinen Paradies, Heiligenstadt

OpenAir-Gottesdienst beim Schönstatt-Heiligtum im Kleinen Paradies, Heiligenstadt

Hbre. Am 3. Oktober 2015 hat die Schönstatt-Bewegung des Eichsfeldes wie in jedem Jahr das Kirchweihfest des Schönstatt-Kapellchens im Kleinen Paradies in Heiligenstadt gefeiert. Die Programmpunkte des Tages, ein großer Gottesdienst, verschiedene alternative Angebote und eine Prozession mit anschließender Andacht rückten den Dank für das Wunder der friedlichen Wiedervereinigung des geteilten Deutschlands und die aktuelle Flüchtlingsthematik am 25. Jahrestag der Deutschen Einheit besonders in den Mittelpunkt. Pater Elmar Busse, gebürtiger Eichsfelder, äußerte in seiner Predigt die Überzeugung, dass Gott vor 25 Jahren Mut und Zivilcourage von vielen Menschen mit einer friedlich verlaufenen Revolution belohnt habe. Angesichts der aktuellen Flüchtlingsströme und der damit erlebten Probleme dürfe man auch heute „auf den allmächtigen Gott, den Gott der Geschichte schauen und ihm auch die Zukunft anvertrauen.“ Schoenstatt.de veröffentlicht nachfolgend den Predigttext von Pater Elmar Busse.

25 Jahre deutsche Einheit – Predigt beim Kirchweihfest im Kleinen Paradies in Heiligenstadt am Samstag, den 3.10.2015

Predigt anhören:

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn!

Vor 25 Jahren stand ich um Mitternacht mit einigen hunderttausend Deutschen am „Deutschen Eck“ bei Koblenz unweit von Schönstatt. Als dann die Nationalhymne gespielt wurde und die Deutsche Fahne und die Fahnen der Neuen Bundesländer gehisst wurden, bekam ich eine Gänsehaut und hatte Tränen in den Augen. Wenn ich heute daran denke, was damals geschehen ist, bin ich immer noch innerlich berührt und bewegt. Es war ein Wunder, auch wenn das damals vielleicht nicht alle Christen so gesehen haben. Ich kann mich an ein Gespräch erinnern, in dem jemand die Frage stellte: „Wo war Gott dann in den vergangenen 40 Jahren, wenn der Fall der Mauer Gottes Eingreifen, ja ein Wunder war?“

Pater Elmar Busse (Foto: Wittmann)

Pater Elmar Busse (Foto: Wittmann)

Gott hat den Mut und die Zivilcourage von vielen Menschen belohnt

Je länger wir auf die Ereignisse von damals zurückschauen und je größer der historische Abstand wird, umso deutlicher können wir sie folgendermaßen deuten: Gott hat sich unseres Volkes neu erbarmt. Gerade die Entwicklungen der letzten Jahre in Nordafrika und im Nahen Osten machen uns deutlich, dass der Sturz einer Diktatur nicht automatisch mit Freiheit und Demokratie gleichzusetzen ist, sondern oft zu Chaos, mafiösen Strukturen und neuen Formen der Gewalt führt. Dass sich in China, Nordkorea und Vietnam zum großen Elend für das Volk unter Einsatz von Gewalt nach wie vor die kommunistische Ideologie hält, macht vielleicht eines deutlich: Wenn wir auf den Fall der Mauer vor 25 Jahren zurückschauen, dürfen wir von einem Wunder sprechen.

Dass Gott den Mut und die Zivilcourage von vielen Menschen belohnt hat und ihnen gleichsam gesagt hat: ‚Ich schaue auf Euch, aber jetzt lasse ich meine schöpferische Allmacht spielen, um Eurem Tun nochmals einen schöpferischen Aspekt zu verleihen‘, ist wirklich ein Grund, dankbar zu sein. Wir dürfen, brauchen und sollen unsere Geschichte nicht vergessen. Bei allem Respekt und aller Wertschätzung für die Menschen, die damals die friedliche Revolution ermöglicht haben, dürfen wir voller Dankbarkeit auf den allmächtigen Gott, den Gott der Geschichte schauen und ihm auch die Zukunft anvertrauen.

Flüchtlingsproblematik zwischen Angst und „Wir schaffen das“

Die große Herausforderung, die wir derzeit erleben, ist die Flüchtlingsproblematik. Dazu gibt es tatsächlich unterschiedliche Stimmen. Da gibt es Stimmen aus den engen bayrischen Gebirgstälern, die Angst haben, die Bewältigung dieser Aufgabe sei nicht zu schaffen. Auf der anderen Seite gibt es unsere pragmatische, bescheidene Kanzlerin, die sagt: „Wir schaffen das.“

Der Hl. Vinzenz von Paul hat eines Tages ein Findelkind vor seiner Haustür gefunden. Da er für sein soziales Engagement schon bekannt war, hatte ihm eine ratlose Mutter ihr neugeborenes Baby vor die Tür gelegt. Vinzenz v. Paul hat sich daraufhin nicht gefragt, wie er die Sorge für dieses Kind zusätzlich zu seinen sonstigen Aufgaben noch bewältigen kann. Das Findelkind vor seiner Haustür war für ihn ein Grund, eine Frauengemeinschaft zu gründen und Waisenhäuser aufzubauen. Er meinte: Die Frauen, die ich dafür brauche, finde ich nicht in der Hauptstadt Paris. Die Frauen, die dort leben, sind dafür zu kompliziert und nicht belastbar. Weil er wusste, dass auf dem Land Frauen leben, die belastbar sind und auch zupacken können, ist er in die Dörfer hinausgegangen und hat mit Frauen, die er dort getroffen hat, die Vinzentinerinnen gegründet. Vinzenz von Paul hat das Findelkind als Gruß Mariens betrachtet, ähnlich wie Elisabeth den Gruß Mariens hörte und dadurch etwas in ihr lebendig wurde.

Ich tue, was mir möglich ist, den Rest muss der allmächtige Gott dazutun

Seit 1. Oktober habe ich eine neue Arbeitsstelle und bin jetzt Spiritual bei den Dernbacher Schwestern. Die Gründerin der Dernbacher Schwestern, Katharina Kasper, hat angesichts der Not, die sie im Westerwald, dem „Armenhaus Deutschlands“ gesehen hat, nicht appelliert, dagegen müsse doch ein Sozialminister aktiv werden. Aus christlicher Motivation heraus hat sie sich gefragt, was sie selbst dagegen tun kann und Frauen um sich gesammelt. Heute betreiben die Dernbacher Schwestern einen großen Krankenhauskonzern mit 40 Häusern und 5.500 Mitarbeitern in Deutschland und vielen Dependancen in Indien, Brasilien und Mexico. Angefangen hat dieses Engagement mit einer Frau, die die Not, die vor ihren Füßen lag, als Anruf Gottes verstanden hat und drauf geantwortet hat: Ich tue, was mir möglich ist, den Rest muss der allmächtige Gott dazutun.

Zukunftsträchtige Schritte mit Frechheit, Mut und Gottvertrauen

Oder denken wir an P. Kentenich, den Gründer der Schönstatt–Bewegung, der im März 1942 nach Dachau kam und dort den Ehemann und Familienvater Fritz Kühr kennengelernt hat. Die beiden haben erfolgreich getrickst, sodass P. Kentenich immer wieder auf die Krankenstation kam, in der Fritz Kühr als Pfleger eingesetzt war und dort offiziell behandelt wurde. In Wirklichkeit haben die beiden Männer intensiv miteinander diskutiert. Am 16. Juli 1942 gründet P. Kentenich zusammen mit Fritz Kühr die Familienbewegung der Schönstatt – Bewegung. Als guter Ehemann hat Fritz Kühr erklärt: „Ich kann natürlich meine Frau, die im fernen Brasilien ist, jetzt nicht fragen, ob sie damit einverstanden ist. Unter dem Vorbehalt, dass auch sie Ja sagt, bin ich bereit, einen solchen Schritt zu tun.“

Wenn ich mich in diese Situation hineinversetze und sie auf mich wirken lasse, muss ich ehrlich gestehen, dass ich persönlich in seiner Lage erst mal bessere Zeiten abgewartet hätte und dann gesagt hätte: Wenn wir überhaupt lebend aus dem KZ herauskommen, können wir diese Projekt ja mal angehen. Diese Frechheit, diesen Mut und dieses Gottvertrauen von P. Josef Kentenich, mitten in Dachau unter schwierigsten Umständen einen so zukunftsträchtigen Schritt tun, bringt man nur fertig, wenn man Gott tatsächlich etwas zutraut. P. Kentenich hat in Dachau verbotenerweise einiges initiiert. Ein Höhepunkt war sicherlich die Priesterweihe von Karl Leisner.

„Schöpferische Gotteskämpfer“ statt Geschichtsaktivisten oder Geschichtspassivisten

Die Erfahrungen aus dem KZ Dachau haben ihn 1949 zu einem langen Brief animiert, den er von der Schweiz aus nach Schönstatt geschrieben hat. Darin spricht er davon, dass es Geschichtsaktivisten und Geschichtspassivisten gibt. Die Geschichtsaktivisten meinen immer, die Geschichte würde erst mit ihnen beginnen, die Geschichtspassivisten dagegen lehnen sich zurück, interpretieren nur die Gegenwart, jammern über die Welt und sagen, dass alles immer schlechter wird. P. Kentenich meint, dass uns Menschen beide Sichtweisen nicht gut tun. Er entwickelt daraufhin einen Begriff, der sich zunächst etwas sperrig anhört: „schöpferischer Gotteskämpfer“. Damit umschreibt er einen Christen, der im Vertrauen auf Gott aus dem, was ihm unmittelbar vor den Füßen liegt, den Anruf Gottes heraushört und daraufhin das tut, was ihm möglich ist. Dadurch schreibt er mit dem Gott des Bundes, der das Heil aller Menschen will, Heilsgeschichte.

Vielleicht wäre es an der Zeit, dass man diesen Text von Pater Kentenich aus dem Jahr 1949 in unseren einzelnen Gruppen liest und diskutiert, weil er eine mentalitätsmäßige Antwort auf die Probleme enthält, die wir derzeit zu bewältigen haben. Die Leute, die immer sagen „Das geht nicht, weil…“ haben so lange Recht, bis jemand kommt, der die entsprechende Situation anpackt und beweist, dass es eben doch geht. Das große Problem ist: Wenn die Ängstlichen, die Bedenkenträger die Stimmungshoheit bekommen, werden sie Recht bekommen. Das ist eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.

P. Kentenich lädt uns ein, schöpferische Gotteskämpfer zu werden, ähnlich wie Jakob mit Gott gerungen hat (vgl. Gen 32,23-3). Wenn wir uns darin wiederfinden und in Treue zu diesem Charisma stehen, dann können wir auch die Aufgaben anpacken, die sich uns unmittelbar vor die Füße legen. Wir können im Vertrauen auf Gott Dinge in Angriff nehmen, die auf den ersten Blick fast unmöglich erscheinen.

Für Gott ist nichts unmöglich

Maria spricht in der entscheidenden Stunde ihres Lebens ein „Ja“ hinein ins Dunkel. Sie weiß nicht, was auf sie zukommt, sie weiß nur, dass ledige Mütter in Israel gesteinigt werden. Doch der Engel verabschiedet sich von ihr mit den Worten „Für Gott ist nichts unmöglich.“ Dieser Satz wird zum Credo Mariens: Ich glaube an einen Gott, für den nichts unmöglich ist. Während sie zu ihrer Verwandten Elisabeth unterwegs ist, meditiert sie und kann dann in der Begegnung mit Elisabeth ihr ganz persönliches Credo singen und beten: das Magnifikat, das wir soeben im Evangelium gehört haben. „Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen.“

Für eine neue Kultur des friedlichen Miteinanders

Das durften wir vor 25 Jahren erleben. Ich persönlich kann mir für die Zukunft Europas folgende Entwicklung vorstellen: Wenn die Menschen, die jetzt zu uns kommen, unsere Sprache lernen und vielleicht auch ein bisschen etwas von unserer Erfahrung aufnehmen können, dass in Europa seit 60 Jahren Frieden herrscht, weil man gelernt hat, Konflikte auf nicht–gewaltsame Art und Weise zu lösen, dann ist der Hinweis auf diese Wirklichkeit vielleicht tatsächlich eine Ermutigung, diesen friedlichen Strategien der Konfliktlösung mehr Vertrauen zu schenken. Im individuellen Leben ist es ähnlich. Ich habe einige Zeit lang ein Ehepaar begleitet. Der Mann hat seine Frau geschlagen, die Frau hat daraufhin vom polizeilichen Wegweisungsrecht Gebrauch gemacht. Der Mann ist ausgezogen und hat eine Therapie gemacht. Der Mann selbst war als Kind bei einem sehr gewalttätigen Vater aufgewachsen, der die ganze Familie durchgeprügelt hat, wenn er getrunken hatte. Als Jugendlicher hat er sich geschworen, dass er seine Familie niemals schlagen wird. Doch der Vorsatz allein hat nicht gereicht, weil er einfach keine anderen Strategien und auch kein Vertrauen in andere Strategien als die Gewalt kannte. Sein Therapeut hat ihm erklärt: Es nützt nichts, sich vorzunehmen, dass man seine Familie nicht verprügeln will. In der Therapiegruppe für gewalttätige Männer musste er erst lernen, dass es tatsächlich andere Formen der friedlichen Konfliktlösung gibt als die, die er kannte und durch die er von der Opferrolle in die Täterrolle katapultiert wurde. Letztlich war er bis zu seiner Therapie Gefangener des Musters von Gewalt geblieben.

Wenn die Flüchtlinge, die Opfer von Gewalt geworden sind und in ihrer Vergangenheit keine andere Form von Konfliktbewältigung kennengelernt haben, zu uns kommen und bei uns lernen, dass man Konflikte auch ohne Gewaltanwendung lösen kann, wofür die Geschichte Europas in den letzten 60 Jahren samt der friedlichen Revolution mit Kerzen und Zivilcourage in Deutschland bzw. der „Samtenen Revolution“ in Tschechien der Beweis ist, dann kann vielleicht in diesen „Gefangenen des Musters der Gewalt“ Vertrauen in eine neue Strategie einer menschlicheren Form der Konfliktlösung wachsen. Dann können sie vielleicht in 10 oder 15 Jahren in ihre Heimatländer zurückkehren und dort eine neue Kultur des friedlichen Miteinanders aufbauen. Das sind große Herausforderungen, aber

  • wenn wir uns als schöpferische Gotteskämpfer verstehen,
  • wenn wir das, was uns möglich ist, tun und das Unmögliche von Gott erwarten,
  • wenn wir in die Mentalität Mariens hineinfinden, die ihr historisches Credo, ihre Deutung der Geschichte Israels im Magnifikat bezeugt,

dann können wir diese Schwierigkeiten bewältigen.

Gott will durch uns wirken zum Heil für viele Menschen

Pater Kentenich, ein guter Schüler der Gottesmutter, hat ein erstaunliches Werk aufgebaut, obwohl er selbst immer sehr kränklich war und ihm die Ärzte im Jahr 1923 gesagt hatten, er solle jetzt bitte seine Sachen regeln, denn er hätte nur noch ein Vierteljahr zu leben. Schließlich ist er 83 Jahre alt geworden und hatte ein weltweites Werk aufgebaut - nicht, weil er so genial war, sondern weil er im Vertrauen auf Gott das ihm Mögliche, manchmal unter den unmöglichsten Umständen, gewagt hat und im Vertrauen auf Gott Dinge entschieden hat. Finden wir hinein in diese Mentalität solcher schöpferischer Gotteskämpfer wie sie Vinzenz von Paul, Katharina Kasper oder P. Joseph Kentenich waren. Dann werden wir sehen, wie Gott durch uns wirken kann und dadurch Heil für viele Menschen bewirken kann. Amen.


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