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18. Juni 2012 | Worte des Bewegungsleiters | 

Herzensheiligtum


Liebe Leserinnen und Leser des Bündnisbriefes,
liebe Mitglieder und Freunde der Schönstattbewegung,

neulich meinte wieder einmal jemand mittleren Alters, er würde am liebsten die Nachrichtensendung am Abend gar nicht einschalten angesichts des oft viel Schrecklichen und wenig Aufbauenden, das nicht selten an Auge, Ohr und Herz „geliefert“ wird. – Kann man in der Welt, so wie sie ist, überhaupt den Frieden bewahren, von dem uns die österlich-pfingstliche Botschaft so deutlich spricht? Gibt es die Möglichkeit, sich auf das faktische Weltgeschehen so einzustellen und seine Entwicklungen an sich heranzulassen, ohne den Kopf in den Sand zu stecken oder aber sich resümierend fatalistisch wegschwemmen zu lassen von dem, was man mitbekommt und nicht selten auf einen einstürmt?

Die hier angeführte Alltagssituation scheint mir etwas zu tun zu haben mit dem, was wir gerne „Herzensheiligtum“ nennen, ein Thema, das sich für mich aus mehrfachen Gründen gerade für die Bündnisfeier im Monat Juni nahelegt. Hinter uns liegen die Hochfeste des Kirchenjahres, in denen Gottes Herrlichkeit neu aufgestrahlt ist in der Welt und auch bei uns, die wir bemüht sind, bleibend von den Strahlen der göttlichen Herrlichkeit zu zehren und zu leben.

„Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben. Wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.“ (Joh 14,23)

Jesus hat im Abendmahlssaal seinen Jüngerinnen und Jüngern diese Verheißung gegeben und damit angedeutet, dass sein Wohnen und „Zelten“ bei uns Menschen eine gewisse Fortsetzung finden werde im Leben derer, die an ihn glauben. Dass seine Liebe und die Kraft seines Geistes so stark sein würden, dass sie die Herzen der Menschen so erfüllen können, dass in ihrem Herzen eine heilige Gegenwart Einzug hält, die sie zu kleinen Tempeln des dreifaltigen Lebens in der Welt leben lässt. – Auch der heilige Paulus geht davon aus, dass in seiner Gemeinde der Reichtum Christi in seiner ganzen Fülle Einzug halten kann (vgl. Kol 3,16).

Dieses Wohnung-Nehmen des Vaters und des Sohnes durch das einigende Band des Heiligen Geistes wird, wie wir wissen, sakramental grundgelegt im Geschenk und Geschehen der Taufe. In der Chrisamsalbung nach dem zentralen Taufakt wurde jedem von uns das Wort zugesprochen: „X, der Vater unseres Herrn Jesus Christus hat dir aus dem Wasser und dem Heiligen Geist neues Leben geschenkt. Du wirst nun mit dem Chrisam gesalbt, denn du wirst Glied des Volkes Gottes und gehörst für immer Christus an, der gesalbt ist zum Priester, König und Propheten in Ewigkeit.“

Die in der Taufe uns verliehene Würde der Gotteskindschaft und Christusgliedschaft vollendet als „übernatürliches Geschenk“ die dem Menschen eigene „natürliche“ Würde und Unantastbarkeit; die unverfügbare Selbstbestimmung der menschlichen Person, welche von niemandem weder physisch (durch Gewalt) noch psychisch (durch Zwang) von außen „geknackt“ werden darf, will man dem Menschen als Menschen gerecht werden. Nur wenn der Mensch von innen heraus handeln und sich mitteilen kann und darf, ist ihm gewährt, sich als Person geben zu können. – Schon von Natur aus ist jeder Mensch ein Heiligtum (freilich im weitesten Sinne); jede Mitteilung, welche aus seiner Mitte kommt, ist im Grunde genommen eine „Offenbarung“ (wiederum im weitesten Sinne).

Wir spüren, wie wichtig und wertvoll die Überzeugung des Glaubens vom Wohnung-Nehmen Gottes im Menschen ist und welche Bedeutung sie gewinnen kann für uns selbst, aber auch für unser menschliches Zusammenleben.

Lassen Sie mich lediglich einen Grundgedanken in einigen Aspekten beleuchten. Wenn es wahr ist, dass der lebendige Gott in uns Wohnung nehmen will, dann gebührt dem Herzensheiligtum in gleicher Weise auch das, was wir in der Regel mit dem heiligen Raum einer Kirche oder Kapelle verbinden: Geschlossenheit und Sammlung. –

Wie sehr kann der Glaube, dass der lebendige Gott in der Tiefe unseres Herzens Wohnung nehmen will, ja Wohnung schon immer genommen hat, uns helfen, uns beim Beten zu sammeln. Dass das auch bisweilen im lauten Alltagsgetriebe geschenkt wird, rundet gerade diese Erfahrung ab. Wenn hier die Rede von der Tiefe des Herzens ist, soll das keine nebulose Umschreibung sein, wenngleich es sich hier nichtsdestotrotz um ein echtes Geheimnis handelt. „Tiefe“ meint deswegen nichts anderes als dass es eine geheimnisvolle Verwandtschaft zwischen dem Menschen als Ebenbild Gottes und der Unendlichkeit Gottes selbst gibt. Diese Verwandtschaft zeigt sich unter anderem in der Erfahrung der unstillbaren Sehnsucht des Menschen nach dem, was sein Herz nicht nur teilweise, sondern ganz ausfüllt. Auch darin, dass der Mensch sich selbst bis zu einem gewissen Grade immer ein Geheimnis bleibt in dem, was seine Originalität ausmacht und was er letztlich will und wünscht. Der geheimnisvolle Zusammenhang von „Gott und Seele“ wäre nicht wirklich zum Menschen gehörig und deswegen universell, wenn er in irgendeiner Form nicht auch von nichtchristlichen Religionen gesehen und betont würde, jedenfalls soweit es die religiöse Sehnsucht des Menschen betrifft. –

Das Herzensheiligtum hat aber auch eine Bedeutung für unser menschliches Zusammenleben: Wie sehr kann unsere Achtung voreinander wachsen, wenn wir innewerden, dass gerade auch der „Andere“ vom Göttlichen bewohnt ist und ein originelles Herzensheiligtum darstellt.

Ein Wort noch zur Geschlossenheit. Eine wie immer zustandekommende Konzentration auf den „Gott in uns“ kann und braucht unsere natürliche Spontaneität und Schlichtheit nicht zu beeinträchtigen. Der Heilige Geist will aus uns keine „Kräutchen rühr mich nicht an“-Pflanzen machen, sondern schlichte Kinder Gottes, welche dankbar aus dem Geschenk leben, das Gott ihnen gegeben hat. Er will uns auch zu einer geschwisterlichen Unmittelbarkeit zum anderen Menschen verhelfen. Ein wachsendes Gespür für die Gegenwart Gottes im eigenen Herzen und dem der Anderen wird freilich immer wieder auch wahrnehmen, dass wir selbst berührt werden von der Betriebsamkeit und auch manchem Fragwürdigen, das wir in unserer Umgebung vorfinden und nicht selten auch in uns selbst.

Leben aus und mit dem Herzensheiligtum

Sext aus dem Gebetbuch "Himmelwärts"

 

Hoch steht und strahlt die Sonne im Zenit:
Wir sammeln in Bethanien das Gemüt.

Heißhungrig hast empfangend du genommen,
was aus des Herren Herz und Mund gekommen,
und wurdest Meister der Beschaulichkeit,
Gott ausgeliefert voller Innigkeit.

So willst in deinem Heiligtum du bilden
ein Beterheer auf öden Weltgefilden,
uns führen zu der Liebe höchsten Höhn,
dass wir im Kampf dir treu zur Seite stehn.

Lass den Gebetsgeist mehr und mehr mich lernen,
heb meinen Geist stets zu des Himmels Sternen,
lass mich die Christussonne allzeit schaun,
auf sie in allen Lebenslagen baun.

Die Ehre sei dem Vater froh erwiesen
durch Christus mit Maria, hochgepriesen,
im Heiligen Geiste voller Herrlichkeit
vom Weltall jetzt und alle Ewigkeit. Amen.

 

vgl. Gebetbuch "Himmelwärts", Sext, S. 52

 

In diesem Sinne dürfen (und müssen!) wir auch immer wieder die Erfahrung machen: Unsere Herzensheiligtümer sind, jedes in seiner Art, die vorgeschobensten „Posten“ aller Heiligtümer in der weltlichen Welt, die uns umgibt und nicht selten auch Einzug hält in die Mitte unseres Herzens. Oder, um an die eingangs gemachte Erfahrung anzuknüpfen: Auch wir begegnen einer Welt und ihrer gegenwärtigen Situation, welche in vielerlei Hinsicht die Kraft unserer Herzen übersteigt. Gerade wenn wir den Kopf nicht in den Sand stecken und sowohl das Unheile wie auch Unheilige an uns herankommen lassen, sind wir in unserem Glauben und unserer persönlichen Tragfähigkeit herausgefordert. Jedes Herzensheiligtum kann deswegen ein Ort der Geborgenheit und Gottesbegegnung sein; es bleibt aber auch Ort der Auseinandersetzung und in gewisser Weise Kampfplatz der Unterscheidung von Gut und Böse im eigenen Herzen. Das Herzensheiligtum ist deswegen der entscheidende Ort, an dem sich ein Glaubensleben mitten in der Welt entscheidet. Das, was uns begegnet, aus der Liebe und in Liebe anzunehmen und das, was unsere Kraft übersteigt, weiterzuleiten. Diese Annahme und Weiterleitung begegnet uns im Leben Christi und der Gottesmutter, freilich mit dem Unterschied, dass beider Herzen Aufgabe es war, die Welt im Ganzen zu bergen, letztlich im Geheimnis des sterbenden und auferstehen-den Weizenkornes. –

Für mich verbindet sich das Leben aus und mit dem Herzensheiligtum im Blick auf die Tagzeiten aus unserem Gebetbuch „Himmelwärts“ besonders mit dem Mittagsgebet (vgl. Sext, S. 52), in dem vom Gebetsgeist die Rede ist und seinem Wachstum in die Höhe und Tiefe, in gleicher Weise aber auch vom Kampf um die richtigen Entscheidungen in der Mitte des Tages.

Ihnen allen gesegneten Herz-Jesu-Monat und ein Fronleichnamserlebnis, bei dem es ja gerade um die Gegenwart Christi auch in unserer Alltagswelt geht,
verbunden mit herzlichem Gruß aus der Nähe des Urheiligtums

Ihr

P. Dr. Lothar Penners

Leiter der Schönstattbewegung in Deutschland

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